Ueli Leutert
Herr der Lüfte
«Die Piloten der Patrouille Suisse sind Popstars»
Bitte anschnallen, es geht in die Luft: edelline-Gastgeber Ueli Leutert sitzt im Cockpit, wenn Sie anlässlich der Swiss Aviation Tour im November dieses Jahres einen exklusiven Blick hinter die Kulissen der Schweizer Luftwaffe werfen. Der bekannte Hunter-Pilot spricht über Glücksgefühle, Sehnsuchtsorte und die Höhepunkte der Reise.
Auszüge aus dem Interview mit Ueli Leutert gibt’s weiter unten als Video.
Zum Video
Wer bist Du?
Ich heisse Ueli Leutert, bin 70 Jahre alt und wohne seit 27 Jahren in Küsnacht am rechten Zürichseeufer.
Mit welchen fünf Worten würde Dich Deine Familie beschreiben?
Familienmensch. Pilotenprofi. Oldtimer-Liebhaber. Reisebegeistert. Daueroptimist.
Dein grösstes Talent?
Fliegen. Ob mit einem Bücker-Doppeldecker (140 km/h, die Red.), einer MD-11 (900 km/h) oder einem Hunter (1150 km/h) – im Cockpit fühle ich mich wohl.
Deine grösste Schwäche?
Zur Fliegerei gehört auch die Administration und die finde ich echt anstrengend. In diesem Bereich muss ich mich mitunter selbst motivieren. Dann gibt es noch die kulinarischen Verführungen. Schokolade etwa kann ich nur schwer widerstehen.
Was ist Deine liebste Freizeitbeschäftigung?
Nebst der Fliegerei faszinieren mich historische Fahrzeuge, mit denen ich auf der Strasse, auf dem See oder in der Luft unterwegs sein kann. Das bedeutet für mich Lebensqualität. Ich habe ein 1968er-Royal-Enfield-Motorrad, ein Cabriolet und ein altes Motorboot. Das Doppeldeckerflugzeug Bücker ist mein Lieblingsflieger. Mit ihm kann ich problemlos und stressfrei herumfliegen.
Hast Du ein Lieblingsbuch?
Ja. «Deutschstunde» von Siegfried Lenz. Mein Lieblingsschriftsteller formuliert per se nicht nur präzise, sondern hebt für mich die deutsche Sprache auf ein neues Niveau.
Welches ist Dein Lieblingslied und was bedeutet es Dir?
«What A Wonderful World» von Louis Armstrong. Ein berührendes Lied, das bei meiner Abdankung gespielt werden könnte. Beatles und Glenn Miller höre ich ebenfalls sehr gerne.
Worauf bist Du am meisten stolz?
Am meisten stolz bin ich darauf, dass ich mit 70 Jahren immer noch fliegen kann. Bis heute verfüge ich über einen einwandfreien Leumund und musste nie eine Busse bezahlen oder meine Lizenz abgeben. Dankbar bin ich dafür, dass ich sowohl in der zivilen als auch in der anspruchsvollen militärischen Luftfahrt stets die Geduld hatte, mich an die Vorschriften zu halten (schmunzelt).
Worauf kannst Du nicht verzichten?
Das wird sich zeigen. Mein Verstand sagt mir: Irgendwann ist es vorbei mit der Fliegerei. Ich wünsche mir, dass ich dannzumal weise genug sein werde, um meine Limiten zu erkennen. Vermutlich kann ich noch 1-2 Jahre den Hunter fliegen und an Flugvorführungen teilnehmen. Passagierflüge dürften noch länger möglich sein. Irgendwann werde ich nur noch mit dem Doppeldeckerflugzeug Bücker herumfliegen. Dieses Fluggerät mit offenem Cockpit ist zwar recht anspruchsvoll bei Start und Landung. Andererseits muss man weder gut sehen noch hören können.
Das musst Du uns erklären.
Nach vorne sieht man ohnehin nichts aus dem hinteren Sitz. Darum muss man auch permanent im Zick-Zack rollen und auch während des Fluges immer wieder den Kurs wechseln, um den Luftraum vor dem Flugzeug zu beobachten. Mit dem Bücker fliegt man meist auf kleinen Flugplätzen mit Graspiste, dort gibt es kaum etwas am Funk zu sagen oder zu hören. Was man braucht beim Bücker ist das Gefühl im Gesäss. Solange dieses Gefühl nicht verloren geht, kann man den Bücker problemlos fliegen. Diese Aussage betrachtest Du bitte als Scherz, sie kann so nicht ernst genommen werden (lacht).
Wann hast Du das letzte Mal geweint – und warum?
Bei der Beerdigung meiner Schwiegermutter. Sie starb im Alter von 96 Jahren kurz nach einer Gehirnblutung. Sie blieb bis ins hohe Alter geistig fit und war uns allen ein grosses Vorbild: Aufgestellt, positiv, lebensfreudig. Die politischen Diskussionen mit ihr werden mir fehlen.
Wovor hast Du am meisten Angst?
(denkt lange nach) Wenn ich mir das aktuelle Weltgeschehen anschaue, könnte einem angst und bange werden. Es gibt so viele Brennpunkte: Afghanistan, Terrorismus, Coronavirus. Ich verdränge diese Angst und versuche, positiv zu bleiben.
Dein letzter grosser Frust?
Die aktuelle Situation der Schweizer Hunter verärgert mich. Die historische Militärjetfliegerei hat beim Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL keine Lobby. Seit 12 bis 18 Monaten spüre ich Widerstand. Die Auflagen seitens der Behörden werden immer schärfer und erschweren den Flugbetrieb. Es war ein Kraftakt, den Hawker Hunter Doppelsitzer HB-RVR im vergangenen August und RVS wieder in die Luft zu bringen. Ich wünschte mir, dass die Oldtimer-Szene mit antiken Militärjets in enger Zusammenarbeit mit den Behörden noch lange Zeit überleben kann.
Welches Erlebnis hat Dein Leben nachhaltig geprägt?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Bis jetzt verlief mein Leben wie am Schnürchen – sowohl beruflich als auch familiär. Ich hatte ein erstes Ziel: Militärpilot. Das habe ich geschafft. Dann wollte ich Linienpilot werden. Das habe ich auch geschafft. Dann wollte ich eine Familie gründen. Dieser Wunsch ist ebenfalls in Erfüllung gegangen. Dann wollte ich meine Tochter unterstützen, damit sie ihre Ausbildung erfolgreich abschliessen kann. Auch dies hat wunderbar geklappt. Und ja: Mit meinen Nachbarn verstehe ich mich ebenfalls bestens (schmunzelt).
Bist Du ein Glücksmensch?
Glück braucht jeder Mensch. Und ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben. Ein bedeutender Faktor, wie sich ein Leben entwickelt, ist die eigene Einstellung. Ich bin überzeugt, dass mein positives Denken und meine Zuversicht dazu geführt haben, dass alles gut herausgekommen ist.
Was gefällt Dir besonders gut an Deiner Berufung als Reisegastgeber?
Als Gastgeber ist es mir ein Bedürfnis, mein Wissen und meine Begeisterung für die Linien- und Militärfliegerei weiterzugeben. Ich möchte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aber auch auf eine historische Zeitreise mitnehmen und über interessante Ereignisse der Luftfahrt berichten. Unterstützt werde ich von hochkarätigen Referenten, die auf der Swiss Aviation Tour spezielle Aspekte der Fliegerei beleuchten.
Welches ist Deine bisher emotionalste Reise gewesen?
Ich möchte verschiedene Erlebnisse erwähnen: Meine Expeditionsreise in die Antarktis war ein einzigartiges Naturschauspiel. Stark geprägt hat mich mein Auslandjahr in Indien. Die indische Kultur, die gewürzreiche Küche und die unfassbare Diskrepanz zwischen arroganten Bonzen und über einer Milliarde herzlichen und hilfsbereiten Menschen haben mich tief beeindruckt. Berufsbedingt habe ich viele Langstreckenflüge machen dürfen und so fast die ganze Welt bereist. Nur Neuseeland ist noch ein weisser Fleck auf meiner Landkarte. Dieses Eintauchen in fremde Kulturen hat meinen Horizont erweitert und mich davor bewahrt, engstirnig zu werden.
Hast Du ein schlimmes Reiseerlebnis erlebt?
Nein. Auch bei dieser Frage darf ich sagen: Ich habe Glück gehabt. Spasseshalber habe ich nach meiner Pensionierung einmal festgehalten, dass ich nunmehr seit 35 Jahren ohne Motorschaden herumgeflogen bin und mich deshalb frage, wofür ich Triebwerkausfälle in kritischen Momenten beim Start zweimal pro Jahr im Simulator trainieren musste. Brenzlig wurde es in meiner langen Pilotenlaufbahn zweimal.
Wir sind gespannt.
Das erste Mal im Dégagement nach einem Angriff in einer 4er-Formation Hunter auf den Flugplatz Interlaken. Ich hatte meinen Hunter vor einer Krete auf den Rücken gelegt und so das Flugzeug über das Hindernis gesteuert. Gleichzeitig war ein Mirageaufklärer im Anflug auf die Axalp. Wir haben uns, Cockpit gegen Cockpit, extrem nahe gekreuzt.
Schildere uns bitte den zweiten Vorfall.
Der zweite Vorfall ereignete sich bei einem Richtungswechsel wieder in einem Viererverband Hunter in Formation Box. Dabei fliegen die Flugzeuge in einer quadratischen Formation. Ich war der Anführer und habe am Funk befohlen, 90 Grad nach rechts zu drehen. Dabei musste der «Uno Sohn», der zwei Kilometer links von mir geflogen ist, nach rechts drehen und nach einer 90-Grad-Kurve wieder geradeausfliegen. Die Formation war vor dem Richtungswechsel nicht perfekt, der «Uno Sohn» war weiter vorne als der «Uno». Dadurch hätte er knapp unter dem Verbandsführer durchfliegen sollen. Ich hatte dann etwas später ebenfalls diese 90-Grad-Kurve zu fliegen, damit nach dem Richtungswechsel wieder die ursprüngliche Formation erstellt werden konnte. Die vertikale Separation ist vorgegeben. Der Verbandsführer gibt die Flughöhe an, der «Uno Sohn» muss nach unten separieren, der «Due» nochmals nach unten usw. Diese Regel gilt bei allen möglichen Formationen. Ich hatte meinen «Uno Sohn» permanent in Sicht. Wer kennt das nicht, wenn sich zwei Fussgänger frontal begegnen: Zuerst reagiert niemand, dann korrigieren plötzlich beide Personen und sie stossen zusammen. Dieses Phänomen muss in der Luft unbedingt verhindert werden. Einzig der «Uno Sohn» muss seine Flughöhe anpassen, es dürfen nicht beide Flugzeuge korrigieren. Ganz offensichtlich hat mit der «Uno Sohn» gar nie gesehen. Im allerletzten Moment konnte ich durch brüskes Stossen eine Kollision verhindern.
Welches ist Dein Sehnsuchtsort – in der Schweiz und im Ausland?
In der Schweiz zieht es mich immer wieder ins Engadin. Diese wunderschöne Region versprüht dank vieler Gastarbeiter im Service-Bereich Italianità. Mein Sehnsuchtsort im Ausland ist Brasilien. Dorthin würde ich mit meiner Familie auswandern, wenn ich denn müsste. Immer wenn ich in Brasilien weile, bereue ich es, dass ich kein Portugiesisch spreche. Mich faszinieren die Lebensfreude der Einheimischen, die trotz anhaltender wirtschaftlicher Probleme aufgeschlossen, gelassen und zuversichtlich sind.
Wenn Du wüsstest, dass morgen die Welt unterginge, was würdest Du noch tun?
Mit meiner Familie einen Tee trinken und über die alten Zeiten schwärmen.
Was möchtest Du unseren Gästen auf dieser Reise vermitteln?
Swiss Aviation Tour bietet die einmalige Chance, hinter die Kulissen der Luftfahrt zu blicken. Die Reise ist reich an Höhepunkten. Nehmen wir die Patrouille Suisse. Die sechs Piloten sind Popstars. Anlässlich einer Autogrammstunde an der Airshow am 4. September 2021 in Mollis standen die Fans geduldig für eine Unterschrift an. Die Schlange war 50 Meter lang. An der Swiss Aviation erhalten die Gäste die exklusive Möglichkeit, mit dem Patrouille-Suisse-Kommandanten Nils «Jamie» Hämmerli zu diskutieren und ihn etwa zu fragen, wie hoch das fliegerische Anspruchsniveau sein muss, damit man im Team der Jet-Kunstflugstaffel mitfliegen kann. Auch der Flugsimulator im Flugzeugmuseum «Clin d’Ailes» in Payerne ist ein Erlebnis. Den Piloten über die Schultern zu schauen, wie sie den Alltag trainieren, ist faszinierend.
Welche weiteren Höhepunkte warten auf unsere Gäste?
Aufgrund der restriktiven Schutzmassnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus kann das Programm jederzeit ändern. Deshalb kann ich nicht zu stark auf die einzelnen Programmpunkte eingehen. Geplant ist, wie erwähnt, der Besuch des Flugzeugmuseums «Clin d’Ailes» in Payerne. Dort wird uns ein Miragepilot durch die Räumlichkeiten führen. Im Anschluss an diesen aufschlussreichen Rundgang werden wir live dabei sein, wenn der Stratosphärenballon startet. An diesem Wetterballon hängt eine mobile Wetterstation, die mithilft, die Wetterprognose möglichst genau vorherzusagen. Ein weiterer Höhepunkt wird sich in Alpnach ereignen: Werkpilot Beat Furrer erklärt uns, wie es sich anfühlt, nach komplettem Zerlegen einen Helikopter wieder in Betrieb zu nehmen. Rattert da noch ein Schraubenzieher im Rumpf (schmunzelt)?
Was wird die Teilnehmer*innen auf der Reise überraschen?
Ich ziehe den Joker, sonst wäre es ja keine Überraschung mehr.
Müssen die Teilnehmer*innen spezielle Vorkenntnisse mitbringen?
Nein, sie müssen lediglich den Mut haben, Fragen zu stellen. Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten.
Was dürfen die Gäste beim Kofferpacken auf keinen Fall vergessen?
Die fünf Sinne. Damit können sie vom Gebotenen am besten profitieren. Die einzelnen Höhepunkte werden von hochkarätigen Referenten erläutert. Mit ihren Fragen können die Gäste ihren Wissensdurst stillen und unvergessliche Eindrücke mit nach Hause nehmen.
Interview: Thomas Wälti
Der Mann mit dem Ferrari-Pferdchen auf der Brust
Ueli Leutert wurde am 15. Mai 1951 in Wil. Der gebürtige St. Galler startete nach der Matura seine militärfliegerische Ausbildung 1972 mit Stationen in Magadino, Sion und Emmen. Zwei Jahre später erwarb der Venom- und Hunterpilot das Brevet. Anschliessend absolvierte er eine einjährige Ausbildung als Linienpilot.
Ab 1975 war Ueli Leutert bei der Swissair/Swiss Co-Pilot einer DC-9-32-Maschine, anschliessend Co-Pilot einer DC-10. Dann stieg er zum Kapitän auf. Zwei Jahre lang pilotierte er eine MD-80, elf Jahre lang eine MD-11. Zum Abschluss seiner beruflichen Laufbahn war der Familienvater bei Edelweiss fünf Jahre lang Kapitän auf dem Airbus A330 und A320.
Hauptmann Ueli Leutert war der letzte Kommandant der in St. Stephan stationierten Fliegerstaffel 15 und Pilot des Hawker Hunters «Papyrus» – erstes Flugzeug der Patrouille Suisse. Auf seinem Namensschildchen prangt ein Ferrari-Pferdchen. Dazu gibt es die passende Anekdote: Anlässlich einer Airshow auf dem Flughafen in Graz trat Ueli Leutert mit einem Hunter zum Beschleunigungsduell gegen einen Ferrari an. «Ich hatte keine Chance und verlor gefühlte 100-mal», sagt der Ostschweizer. Dann wurde er im ORF 2-Interview gefragt, wie es denn sei, gegen einen Ferrari zu verlieren? Ueli Leutert war um eine schlagfertige Antwort nicht verlegen: «Wenn ich Vollgas gebe, bin ich am Ende der Piste in der Luft. Das kann man vom Ferrari nicht behaupten. Wer ist also der Gewinner?»
Ueli Leutert hat in seiner fliegerischen Laufbahn 23'700 Flugstunden gesammelt. Anders formuliert: Er hat fast drei Jahre in der Luft verbracht. Der Flugexperte ist seit über 43 Jahren verheiratet und Vater einer erwachsenen Tochter. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit Motorboot- und Töff fahren, Reisen und mit der Modelleisenbahn.