«Durch die Krise hat sich der Trend zur Digitalisierung nochmals verstärkt»

Interview mit Prof. Dr. Widar von Arx: Wie Corona unser Reiseverhalten verändert.

Der Wunsch nach Reisen ist gross. Prof. Dr. Widar von Arx, Leiter des Kompetenzzentrums Mobilität und Verkehr an der Hochschule Luzern – Wirtschaft, spricht über die Post-Corona-Zeit, Reise-Hotspots und die Chance für Reiseanbieter. Der Forscher wagt auch einen Blick in die Glaskugel und beantwortet die Frage, wie es mit der Reisebranche weitergehen könnte.

Nach einem Jahr Coronakrise steigt die Reiselust. Wir haben Sehnsucht nach Sonne, Strand und Meer. Können wir es wagen, wieder in die Ferien zu fahren?
Prof. Dr. Widar von Arx: Die Reiselust ist bei den meisten Menschen sicher gross. Und je nach Ziel und Art der Reise dürfen wir es sicher auch wagen, wieder in die Ferien zu fahren. Die Ansteckungsgefahr hängt ja mehr von der unmittelbaren Situation und den Aktivitäten als von der Region ab.

Der Bundesrat rät von Reisen ins Ausland ab. Was halten Sie davon?
Natürlich gibt es Risiken. Diese bestehen beispielsweise darin, dass Touristen für unerwartet lange Zeit in Quarantäne bleiben müssen oder durch andere behördliche Verordnungen hohe Kosten auf die Menschen zukommen. Und Erkrankungen im Ausland, gerade in Ländern mit weniger guten Gesundheitssystemen, sind immer ein Risiko.

Wie hat Corona unser Reiseverhalten verändert?
Kurzfristig ist es zu einem gleichzeitigen Nachfrage- und Angebotsschock gekommen. Die Nachfrage nach Fernreisen ist eingebrochen, weil wir nicht mehr reisen wollen oder dürfen. Und gleichzeitig hat sich auch das Angebot an Flügen oder Schiffsreisen massiv reduziert. Viele Ziele sind schlicht kaum mehr erreichbar oder verfügbar.

Wohin reisen Schweizerinnen und Schweizer in Zeiten von Corona am liebsten – gibt es Hotspots?
Erzwungenermassen stehen Schweiz-Ferien hoch im Kurs. Was die Handydaten zeigen ist, dass Freizeit-Aktivitäten wie Velofahren enorm zugenommen haben. Das kann man ja in der Schweiz überall in der nächsten Wohnumgebung machen. Hotspots sind die Erholungsregionen nahe der Zentren oder beliebte Ausflugsziele in der Schweiz.

Bus, Zug, Flugzeug oder Schiff – welches Transportmittel empfehlen Sie einem Reisenden, dem es nicht möglich ist, das eigene Auto zu benutzen?
Für den Kunden bleiben die wichtigsten Entscheidungsgründe für die Wahl eines Verkehrsmittels unverändert die Reisezeit, der Preis, die Verlässlichkeit und der Komfort. An Bedeutung zugenommen hat der Aspekt der Nachhaltigkeit. Eine generelle Empfehlung ist nicht möglich. Die Kundinnen und Kunden kennen ihre Bedürfnisse je nach Destination und Aktivitäten selber am besten.

Viele Fahrgäste werden demnach auf alternative Transportmittel umsteigen. Ist das Flugzeug der grosse Verlierer der Coronakrise?
Ich denke, für solche Prognosen ist es zu früh. Der Airline-Markt ist hoch kompetitiv und viele Destinationen sind mit anderen Verkehrsmitteln kaum so schnell zu erreichen. Vielleicht steigen allerdings die Preise der Airlines nach der Krise, weil einige Anbieter verschwunden sind und die Politik mit CO₂-Abgaben versucht, lenkend einzugreifen. Aber am grossen Bild wird sich wenig ändern. Die Bahnen versuchen die Gunst der Stunde zu nutzen und investieren wieder in Nachtzüge und Direktverbindungen. Jedoch beschränkt sich dieser Markt auf einen Radius von Zielen, die über eine Nacht oder am Tag innerhalb von selten mehr als fünf Stunden erreicht werden können.

Kann man sich in einem Reisecar sicher fühlen?
Der Reisecar ist grundsätzlich ein modernes, ökologisches und sicheres Verkehrsmittel. Bezüglich Umweltbilanz kann der Reisecar mit der Bahn mithalten. Die Unsicherheiten aufgrund der Gesundheitsregime machen vielleicht begleitete Gruppenreisen attraktiver, weil sich die Gäste nicht selber um die Vorgaben und Anforderungen rund um Covid-19 kümmern müssen.

Wo liegen die Chancen für Reiseanbieter in der Post-Corona-Zeit?
Vermutlich wird sich das Reisen zuerst wieder innerhalb von Europa normalisieren. Das ist eine Chance für Anbieter, die auf den Reisecar setzen. Übersee-Reisen werden, so vermute ich, in diesem Jahr nur für bestimmte Destinationen möglich sein. So schnell geht die Covid-19-Krise leider nicht an uns vorbei. Reiseanbieter müssen also mit Angeboten und Konzepten aufwarten, die einerseits den Kundenwünschen entsprechen und andererseits vertrauenswürdig sind, im Kontext von Covid-19 zu funktionieren. Um ein Modewort zu nutzen: Die Reiseanbieter müssen vermutlich eine Art «Resilienz» für sich und ihre Angebote entwickeln.

Erkennen Sie einen Trend, wie es mit der Reisebranche weitergeht?
Durch die Krise hat sich der Trend zur Digitalisierung nochmals verstärkt. Möglichkeiten zur Individualisierung von Erlebnissen, zum Beispiel um Wartezeiten oder Menschenaufläufe zu vermeiden, werden an Bedeutung gewinnen. Auch inzwischen übliche Annehmlichkeiten für die Gäste, wie kurze Annullationsfristen oder das Hinzubuchen von Optionen, werden sich kaum mehr rückgängig machen lassen. Ein anderer Trend ist die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, wie wir es in der Homeoffice-Zeit erlernen konnten. Gerade für den Tourismus in den Alpen dürfte diese Verschmelzung zwischen Arbeit und Freizeit eine neue Chance sein.

Sollte uns das Coronavirus ein Leben lang begleiten, was hiesse dies für den Tourismus?
Ökonomisch würde man sagen, eine lang andauernde Covid-19-Situation würde die Transaktionskosten für den Tourismus stark erhöhen. Es liefe darauf hinaus, dass Reisende vermutlich immer eine aktuelle Impfung brauchen oder sich vor Ort Tests unterziehen müssen. Das ist mühsam und erhöht die Kosten. Die Reiselust würde abnehmen oder sich auf Destinationen ausrichten, die solche Vorgaben nicht kennen.

Interview: Thomas Wälti
 

Forscher und Touristikexperte

Prof. Dr. Widar von Arx wurde am 24. Februar 1977 in Arlesheim BL geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten in Basel und Pompeu Fabra in Barcelona. Von 2003 bis 2006 arbeitete der Basellandschäftler als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Spitalleitung des Unispitals Basel. Gleichzeitig doktorierte er an der Uni St. Gallen zum Thema Change-Management in Spitälern.

Danach folgten Tätigkeiten als Forschungsassistent am Lehrstuhl des Doktorvaters Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Oxford University – finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds – und dem Abschluss der Dissertation wechselte Widar von Arx erneut in die Praxis, wo er für das Unternehmen Concilius zwei Jahre im Bereich der politischen Beratung aktiv war.

Seit 2011 ist der Forscher und Wissenschaftler Dozent und Leiter des Kompetenzzentrums Mobilität und Verkehr an der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Er macht dort in den Bereichen Angebotsentwicklung, strategisches Marketing, Regulierung, Freizeitverkehr, Management im öffentlichen Verkehr und der Gestaltung von Prozessen in Transportunternehmen Forschung und Beratung. Im Bereich der Weiterbildung hat er das Angebot «CAS öffentlicher Verkehr für Quereinsteiger» entwickelt.

Prof. Dr. Widar von Arx
Prof. Dr. Widar von Arx, ZVG

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