«Ein Abenteuer beginnt stets auf der untersten Treppe»

Interview mit Abenteurer und Polarfahrer Thomas Ulrich

Die kleinen Abenteuer vor der Haustür, Microadventures genannt, sind gross im Trend. Der Abenteurer und Polarfahrer Thomas Ulrich ist im August Gastgeber unserer faszinierenden Erlebnisreise. Im Interview mit dem Leiter Kommunikation/PR von edelline, Thomas Wälti, spricht der Berner Oberländer über die Höhepunkte dieser Mikroexpedition, sein intensives Leben als Abenteurer und darüber, wie wichtig der Blick über den Tellerrand ist.
 

Spürt ein Abenteurer das Leben intensiver?
Ja, definitiv. Abenteurer sind nicht lebensmüde, sondern auf der Suche nach einem intensiven Lebensgefühl. Wenn ich nach einer Expedition wieder nach Hause komme, strahle ich eine Menge positive Energie aus und zehre lange davon.

 

Was zeichnet einen Abenteurer aus?
Die Bereitschaft, Grenzen zu verschieben. Jede Expedition beginnt mit der Entscheidung, es zu versuchen. Erst entsteht eine Idee. Schon hier ist es wichtig, über den Tellerrand zu schauen. Für mich als Berufs-Abenteurer ist es wichtig, dass eine Expedition auch kommerziell verwertbar ist.

 

Was empfehlen Sie jungen Leuten, die Ihnen nacheifern möchten?
Ich rate ihnen, ein Abenteuer stets auf der untersten Treppe zu beginnen und sich dann Schritt für Schritt an grössere Projekte heranzutasten. Manchmal muss ich den Kopf schütteln, wenn ich die Unerfahrenheit einzelner Menschen sehe, die gleich bei ihrer ersten Expedition zum Nordpol aufbrechen wollen und meinen, dorthin sei es ein Spaziergang. Diese Menschen stecken sich ihre Ziele von Anfang an zu hoch. Diese Höher-schneller-weiter-Mentalität wird in den sozialen Medien durch dramatische Bilder und Videos befeuert – die Community will am Erlebnis ja teilhaben. Ich wiederhole mich gern: Wer Abenteurer werden will, muss unten anfangen und erst Mal eine kleine Outdoor-Aktivität machen – so wie es edelline mit der Erlebnisreise «Microadventures mit Thomas Ulrich – jeden Tag ein neues Abenteuer» im August dieses Jahres anbietet. Auf dieser coolen Reise werden die Gäste in die Geheimnisse eines Abenteurers eingeweiht.

Wo gibt es noch echte Abenteuer?
Noch überall. Es ist zwar nicht mehr genau das Gleiche wie früher, als ein Abenteurer weisse Flecken auf der Landkarte entdecken und erforschen konnte. Für mich muss ein Abenteuer sowohl physisch als auch psychisch einen Inhalt haben. Ein Abenteuer muss nicht immer etwas Neues sein. Ich lasse mich vom Grundgedanken leiten, eine kreative Idee zu haben und diese dann durchzuziehen. Bei meinen Unternehmungen ist mir wichtig, dass sie ethisch sauber vonstattengehen. Damit meine ich zum Beispiel den Verzicht auf Sauerstoffflaschen bei der Besteigung des Mount Everest. Ich will mich auch nicht mitten auf dem Eis per Helikopter absetzen, wenn ich zum Nordpol gehe. Es gibt ungeschriebene Gesetze, die man als Abenteurer respektieren sollte.

Microadventures liegen im Trend. Können Sie uns erklären, warum die kleinen Abenteuer vor der Haustür so populär geworden sind?
Weil man nicht an diese Grenzen gehen muss, die ich eingangs erwähnt habe und wohlbehalten wieder nach Hause kommt. Microadventures ist ein Modewort. Früher gab es diese kleinen Abenteuer vor der Haustür auch. Ich erinnere mich, wie ich als 14-Jähriger erstmals mit dem Zelt und Rucksack unterwegs war. Am Morgen wusste ich noch nicht, wo ich am Abend das Nachtlager errichten würde. In meiner Zündholzschachtel befand sich gerademal ein Zündholz. Wollte ich den Cervelat bräteln, konnte ich mir also keinen Fehlversuch leisten. Ja, das waren meine Microadventures damals, draussen sein, etwas Schönes erleben, eins sein mit der Natur.

Gemeinsam mit Ihnen brechen wir im August dieses Jahres zu faszinierenden Mikroabenteuern auf. Was möchten Sie unseren Gästen vermitteln?
Dass auch ein kleines Abenteuer eine Herausforderung sein kann, und dass man nicht zum Nordpol oder in den Himalaya reisen muss, um ein schönes Erlebnis zu geniessen. Die Schweiz hat ebenfalls eine traumhafte Natur zu bieten. Nach der Corona-Krise ist diese Reise genau das Richtige.

Was sind die Höhepunkte dieser Reise?
Ohne Frage die Eigernordwand. Am Stollenloch 3.8 legt die Jungfraubahn für unsere Gäste einen Sonderhalt ein. Dann treten wir durch eine Nottür gut gesichert ins Freie. Mitten in dieser 1800 Meter hohen Wand zu stehen ist atemberaubend und verschafft ein intensives Lebensgefühl. Es wird einem bewusst, welch tragische, aber auch faszinierende Geschichten sich in der Wand der Wände abgespielt haben. Ein grossartiges Erlebnis kann auch der Gleitschirm-Tandemflug von Beatenberg nach Interlaken sein. Oder die Übernachtung im Zelt in Rigi Kaltbad. Unter freiem Himmel von Vogelgezwitscher geweckt zu werden ist eine wunderschöne Erfahrung.

Wie fit sollten die Teilnehmer sein – wir steigen unter anderem in die Eigernordwand?
Spitzensportlerinnen und Spitzensportler müssen unsere Gäste nicht sein. Eine gute körperliche Verfassung genügt, um bei den Aktivitäten mitzumachen. Wer auf ein einzelnes Mikroabenteuer verzichten möchte, erhält eine erstklassige Alternative angeboten. Anstelle eines Gleitschirm-Tandemflugs kann ein Gast etwa mit Ranger Lukas Frei auf der Lombachalp die einzigartige Moorlandschaft entdecken.

Was dürfen unsere Gäste beim Packen nicht vergessen?
Grundsätzlich haben die Leute immer viel zu viel dabei (schmunzelt). Ich bin stets sehr rudimentär unterwegs. Aber ja: Schlafsack, Helm, wetterfeste und warme Kleidung sowie Badekleider gehören auf jeden Fall ins Gepäck.

Der bereits vor der Corona-Pandemie bestehende Trend zu mehr Naturnähe dürfte sich verstärken. Zudem wird die Schweizer Bevölkerung die Ferien in diesem Jahr mehrheitlich im Inland verbringen. Trifft unsere Reise den Zeitgeist?
Ja, sie trifft den Zeitgeist wunderbar! Das Reiseunternehmen edelline nutzt diesen Trend perfekt. Heutzutage haben immer mehr Menschen das Bedürfnis, nach draussen zu gehen. In Beatenberg, wo ich wohne, steht praktisch auf jedem Parkplatz ein Wohnmobil. Viele Naturbegeisterte müssen aber noch lernen, wie man sich draussen verhält. Wer in der Natur unterwegs ist, sollte respektvoll mit ihr umgehen und den Abfall nicht liegen lassen. Die Natur ist ein wichtiges Gut für die Menschheit, sie sollte man so verlassen, wie man sie vorgefunden hat.

edelline bedeutet flexible Reiseerlebnisse mit Insidern. Denken Sie, wir können mit solchen Angeboten die Leute erreichen?
Auf jeden Fall. edelline hat mit dieser Microadventures-Reise eine grossartige Idee gehabt und zeigt sich in der Corona-Krise innovativ. Nur darauf zu warten, bis der Car wieder ins Ausland fahren kann, ist der falsche Ansatz.

Und zum Schluss noch dies: Der Berner Reiseveranstalter edelline beschäftigt sich eingehend mit der Zukunft des Reisemarktes und hat für sich unter anderem folgende drei gesellschaftlichen Entwicklungen definiert, welche den Reisemarkt beeinflussen werden: Silver Society, näher zur Natur, Gesundheit. Die Reise, zu der Sie als Gastgeber einladen, vereint alle drei Merkmale in perfekter Kombination. Sind wir auf dem richtigen Weg?
Ich bin ja nicht nur auf eigenen Expeditionen unterwegs, sondern biete auch Entdeckungsreisen an. So gehe ich etwa mit Gästen zum Nordpol oder überquere Grönland oder bin in der Antarktis unterwegs. Ich habe oft Leute dabei, die hätten die Fähigkeit dazu, diese Expeditionen auch selber zu organisieren. Das wollen sie in der heutigen schnelllebigen Zeit aber nicht. Sie entscheiden sich für den bequemeren Weg, wollen nicht rumstudieren und sich wochenlang mit logistischen Herausforderungen befassen, sondern die Materialliste hervornehmen, Punkt für Punkt abhaken und am Tag X bereit sein. Die Gesellschaft ist im Wandel. Sie wird immer individualistischer und verlangt nach einer perfekten Reiseorganisation. Deshalb bin ich überzeugt, dass edelline gerade mit dieser reich befrachteten Erlebnisreise den Zeitgeist trifft.

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Videointerview mit Thomas Ulrich

Zur Person: Thomas Ulrich

Thomas Ulrich wurde am 16. November 1967 geboren. Er ist in Matten bei Interlaken aufgewachsen. Mit 15 Jahren lernte er das sichere Klettern am Fels. Später wandte er sich der Fotografie zu. Der gelernte Zimmermann hat kaum je auf seinem Beruf gearbeitet, denn es zog ihn schon früh in die Berge. 1999 verpflichtete ihn das Natur- und Wissensmagazin «National Geographic». Er sollte Bilder von seiner Wintererstbesteigung der Cerro-Torre-Westwand in Patagonien liefern. Am 14. Juli 1999 stand Thomas Ulrich auf dem 3128 Meter hohen Gipfel.

Die Eigernordwand kennt der diplomierte Bergführer und Gleitschirm-Tandem-Pilot wie seinen Hosensack. Er hat sie mehrmals durchstiegen. 2002 setzte Thomas Ulrich sein eigenes Projekt um: Er filmte im Auftrag von SF DRS und Arte, wie Michal Pitelka und Stephan Siegrist in authentischer Ausrüstung der 1930er-Jahre auf der Route der Erstbesteiger hinaufklettern. Ein Jahr später begleitete Thomas Ulrich das Schweizer Fernsehen als Kameramann an den Mount Everest – die Seilschaft musste wegen schlechten Wetters umkehren. Der Oberländer machte sich auch als Safety Guide und Bergführer bei den Dreharbeiten des James-Bond-Films «Goldeneye» am Tällistock einen Namen.

Später entdeckte Thomas Ulrich seine Leidenschaft für die Arktis. 2006 startete er zum «Arctic Solo». Bei der Überquerung des Nordpols von Sibirien nach Kanada entging er nur knapp dem Tod. Eine Expedition führte ihn 2007 ins Franz-Josef-Land, ans Kap Flora auf der Northbrook-Insel. «National Geographic» zeichnete ihn und seinen Weggefährten Børge Ousland als «Adventurers of the Year 2008» aus. Weitere Expeditionen brachten Thomas Ulrich nach Grönland, Amerika und Tibet.

2017 hat Thomas Ulrich die Schweiz auf der Landeskoordinate 1160 durchquert (Direttissima). Für die 330 Kilometer Luftlinie vom Vallée de Joux bis zum Stilfserjoch brauchte er 28 Tage. Heute führt er Gäste zum Nordpol, durch Grönland und nach Südgeorgien.

Thomas Ulrich ist auch ein überzeugender Motivationsredner. Ob bei Mercedes-Benz, Credit Suisse oder am Schweizer Polizei-Informatik-Kongress – der Schweizer Polarfahrer kann Menschen in seinen Bann ziehen und auf die individuellen Bedürfnisse seiner Kunden eingehen. «Idee, Vision, Planung, Umsetzung: Meine Expeditionen haben viel mit Management zu tun», meint er. Wenn er am Nordpol steht, wünscht er sich oft ein paar CEOs in der Gruppe. «Dieser Ort wäre jetzt etwas für Führungskräfte. Wenn es draussen kalt und unangenehm ist, müssten sie lernen, zusammen und nicht gegeneinander zu arbeiten.»

Thomas Ulrich ist Vater von drei erwachsenen Töchtern. Er lebt in Beatenberg.

www.thomasulrich.com


Abenteurer und Polarfahrer Thomas Ulrich.

 

Interview: Thomas Wälti / Bild: ZVG

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