«Der Schweizer Weg macht uns schnell und innovativ»

Interview mit Thomas Binggeli

Thomas Binggeli ist der Mastermind hinter der Schweizer Kultmarke Thömus. «Hightech vom Bauernhof» heisst der Slogan des innovativen Unternehmers. Der Besitzer des Swiss Bike Parks in Oberried bei Köniz spricht über den E-Bike-Boom und die E-Bike-Reise beziehungsweise Vanreise von edelline. Der Berner sagt auch, wie künstliche Intelligenz die Velobranche sicherer machen wird und was man gegen einen schmerzenden Hintern beim Biken tun kann.

E-Biken boomt. Laut Velosuisse kauften im vergangenen Corona-Jahr 171'132 Menschen in der Schweiz ein Elektrovelo. Das ist neuer Rekord und gegenüber 2019 eine Steigerung von 28,5 Prozent. Wie erklärst Du diesen Trend?
Das E-Bike ist ein geniales Fortbewegungsmittel – und zwar in zwei Bereichen: Erstens auf der täglichen Fahrt von Haustür zu Bürotür, zweitens als attraktives Freizeitgerät. Die Corona-Pandemie hat der E-Bike-Branche zu markantem Wachstum verholfen. Viele Schweizerinnen und Schweizer wollten im Sommer 2020 Ferien im eigenen Land machen und gingen mit dem Elektrovelo auf Entdeckungstour. Selbstverständlich haben auch die Themenbereiche Nachhaltigkeit und Gesundheit zum E-Bike-Boom beigetragen.

Wie läuft das E-Bike-Geschäft beim Velounternehmen Thömus – kannst Du uns ein paar spannende Zahlen liefern?
Wir wachsen etwas stärker als der Markt. Fast 60 Prozent unseres Umsatzes erzielen wir mit dem E-Mountainbike Lightrider E2. Dieses grossartige Elektrovelo erlaubt gemeinsamen Fahrspass trotz unterschiedlicher Leistungsstärken. Dank der Eigenproduktion können wir eine hohe Lieferfähigkeit garantieren. Der Schweizer Weg macht uns schnell und innovativ.

War das Corona-Jahr 2020 für Deine Firma ein Fluch oder Segen?
Das vergangene Jahr war für uns alle eine grosse Herausforderung. Wir mussten digitale Lösungen finden, um die Corona-Krise zu bewältigen und herkömmliche Events und Plattformen an die neuen Gegebenheiten anpassen. Der Materialeinkauf in Corona-Zeiten hat sich aufgrund unterbrochener Lieferketten komplett verändert. Wir konnten die aussergewöhnliche Situation aber meistern und waren von Lieferengpässen nur marginal betroffen.

Zunehmend populärer wird auch das E-Mountainbiken. Was macht die Faszination von E-MTB-Touren in den Bergen aus?
Die Faszination von E-Mountainbike-Touren in den Bergen ist das gemeinsame Erlebnis. Das Unterwegssein in der Natur erlaubt es, Tourismusgebiete wie der Naturpark Gantrisch, das Emmental oder das Toggenburg neu zu entdecken. Einerlei, ob Bergfloh oder Genussfahrer, Junior oder Senior, Mann oder Frau – mit dem Elektrovelo können alle im gleichen Tempo fahren. Hinzu kommt, dass man mit dem E-Mountainbike immer im optimalen Pulsbereich fahren kann. So werden Krämpfe vermieden, weil die anaerobe Schwelle nicht überschritten wird.

Treffen unsere E-Bike-Reise «Unter Strom durch das Engadin» respektive unsere Vanreise «E-Bike-Erlebnis Graubünden» folglich den Zeitgeist?
Ja, unbedingt. Das vollgefederte E-Mountainbike mit seinen breiten Reifen und seiner Sensortechnologie garantiert Fahrspass pur und damit echtes Ferienvergnügen.

«In 24 Stunden von Oberried auf die Alpe d’Huez» heisst Dein aktuelles Projekt. Kann ich an diesem Abenteuer vom 7. bis 9. August 2021 auch mit einem E-Bike teilnehmen?
Ja. Wir haben diese Kategorie zu Testzwecken im Programm. Eine Testgruppe will herausfinden, welche Unterschiede zwischen einem E-Bike und einem E-Rennvelo bestehen und wie sich der Stromer in diese Tour integrieren lässt. Aber primär fahren wir mit Muskelkraft auf die Alpe d’Huez.

Muskelkraft statt Motor: Verstehst Du Puristen, die ob den E-Bike-Fahrern die Nase rümpfen?
Ich bemühe mich, auch jene Menschen zu verstehen, die gegenüber einem E-Bike skeptisch eingestellt sind. Muskelkraft oder Motor – es ist ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Viele Muskelkraftfahrer haben nebst ihrem Rennvelo auch ein Mountainbike und ein E-Mountainbike. Mit dem E-MTB lassen sich grössere Distanzen zurücklegen und bessere Trails befahren. Hinzu kommt die Alltagsmobilität. Mit dem E-Bike ist man effizienter und schneller unterwegs.

Gemäss Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) verunglückten im vergangenen Jahr 521 E-Bikerinnen und E-Biker im Strassenverkehr – 15 Menschen starben dabei. Bereitet Dir dieser Höchststand Sorgen?
Ja, sehr. Jedes Todesopfer im Strassenverkehr macht mich betroffen. Deshalb hat die Unfallprävention bei uns höchste Priorität. Wir bieten Fahrtechnikkurse an, damit E-Bikerinnen und E-Biker mit unseren Produkten vertraut werden. Wir wollen höchsten Technikansprüchen gerecht werden. Das bedeutet: Integriertes ABS, bessere Pneus und Dämpfung sowie bequemere Sitzposition. Und last but not least versuchen wir auch, Einfluss auf die Behörde zu nehmen, damit die Verkehrsinfrastruktur in den Städten an die neuen Gegebenheiten angepasst werden kann.

Ist E-Biken gefährlicher als Velofahren ohne Motor?
Das glaube ich nicht. Ich bin auch der Meinung, dass der Schnelle nicht gefährlicher unterwegs ist als der Langsame. Velofahrende gehören zu den schwächsten Verkehrsteilnehmern. Wir müssen im Strassenverkehr respektvoll miteinander umgehen und uns bewusstwerden, dass Velofahren ein gesunder Sport ist, der zu einer besseren Lebensqualität beiträgt.

Welches E-Bike passt am besten zu mir?
Diese komplexe Frage ist schwierig zu beantworten. Für die tägliche Fahrt von Haustür zu Bürotür empfehle ich ein S-Pedelec der Marke Stromer. Seine Höchstgeschwindigkeit beträgt mit Tretunterstützung 45 km/h. Wer auf einer normalen Strasse eine genussvolle Tour machen will, mit Saccochen und anderen Gadgets, ist mit einem leichten E-Bike mit bequemer Sitzposition gut beraten. Auf Feld- und Waldwegen ist ein E-Mountainbike der perfekte Begleiter. Was bei allen Modellen gilt: Es braucht eine hohe Akkureichweite, einen starken Motor, eine moderne Sensortechnologie sowie Sattel und Lenker, die perfekt unter Po und Finger passen.

Welche Tipps gibst Du E-Bike-Einsteigerinnen und -Einsteiger?
Eine gute Beratung erleichtert den Kauf eines E-Bikes ebenso wie Testfahrten und der direkte Vergleich der verschiedenen Modelle. Mit unserem Online-Konfigurator kann sich der Kunde sein E-Bike individuell zusammenstellen.

Was kann ich gegen einen schmerzenden Hintern beim Biken tun?
Die Biometrie ist bei jedem Menschen anders. Deshalb kommt der Ergonomie eines Velos eine zentrale Bedeutung zu. Wir messen unsere Kunden aus, um die perfekte Rahmengrösse, Sitzposition und Lenkeinstellung zu ermitteln. Das bringen wir zu 80 Prozent hin. Die restlichen 20 Prozent sind fortwährendes Feintuning. So können unsere Kunden innerhalb von drei Jahren gratis Lenker, Vorbau, Sattel und Pedale austauschen. Eine gut gepolsterte Velohose schützt ebenso vor einem schmerzenden Hintern wie eine Sitzcreme.

Wie bist Du eigentlich ins E-Bike-Business eingestiegen? Welche Vision hat Dich damals getrieben?
Ich bin im kleinen Dorf Oberried aufgewachsen. Das Velo war gewissermassen meine Verbindung zur grossen weiten Welt. Mit dem Velo steuerte ich Kindergarten, Schule und Freunde an. Später kamen die Autos hinzu. Irgendwann sagte ich zu meinem Bruder Markus, dass wir ein Elektrovelo entwickeln müssen, mit dem wir den Alltag bewältigen können. Das war die Geburtsstunde des Stromers. Dann hatten wir eine Vision: «Es ist cooler, mit dem Stromer ins Zürcher Traditionslokal Kaufleuten vorzufahren als mit einem Porsche Cayenne.» Das haben wir geschafft. Jetzt wollen wir New York autofrei machen. Daran müssen wir noch arbeiten (lacht).

Welches Projekt gehst Du als innovativer Unternehmer als nächstes an?
Wir wollen die moderne Infrastruktur unseres Bike-Resorts Oberried weiterentwickeln und ein Innovationslab bauen. Mit einem umfassenden Netzwerk aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport und unserem Erfindergeist möchten wir den Velomarkt auf die nächste Stufe bringen. Am 1. Dezember erfolgt der Spatenstich für das neue Gebäude im Swiss Bike Park Oberried.

Wie pflegst Du Deine Community und welche Bedeutung hat sie?
Velofahren wie E-Biken haben eine grosse gesellschaftliche Bedeutung – unabhängig von der Persönlichkeit. Wir pflegen eine unterschiedliche Community. In den Bereichen Entwicklung und Innovation bauen wir auf unser Rennteam. Es wird von Weltcup-Seriensieger Mathias Flückiger angeführt. Unterstützt werden wir in diesem Bereich von Partnern aus der Schweiz, Europa und Asien. In den Bereichen Produktion und Beschaffung integrieren wir Ausrüsterfirmen wie etwa Shimano und DT Swiss. Dann pflegen wir eine Community, die ebendiese Produkte kauft. Ein wichtiger Teil von Thömus Followern sind unsere Gruppen zum gemeinsamen Ausfahren.

Zum Schluss ein Blick in die Kristallkugel: Welche Trends siehst Du am E-Bike-Markt / Langsamverkehr?
Ein Quantensprung dürfte bald in den Bereichen Wartung und Service zu verzeichnen sein. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass unsere Kundinnen und Kunden künftig erst nach 25000 gefahrenen Kilometern mit ihrem Bike zur Inspektion in die Werkstatt gehen müssen. Auch die künstliche Intelligenz wird sich weiterentwickeln und unseren Alltag immer stärker prägen. Innovative Technologien wird es auch bei der Velobekleidung geben.

Was könnte künstliche Intelligenz bewirken?
Ich habe bereits darauf hingewiesen: Ein integriertes ABS kann die Sicherheit im Strassenverkehr signifikant erhöhen. Dann denke ich an intelligente Gadgets wie Alarmsysteme oder GPS-Tracker, die den Diebstahl eines Bikes erschweren würden. KI wird mithelfen, dass ein Biker «gesund» fährt, also mit dem idealen Puls und im entsprechenden Gang unterwegs ist. Spannend für Familien, Firmen oder Mitbewohner wird der Sharing-Bereich sein, wo ein herumstehendes Bike mit Anderen geteilt werden kann – das erhöht die Mobilität und wirkt sich positiv auf die Umwelt aus.

Interview: Thomas Wälti

www.thoemus.ch

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