«Biodynamie ist kein Hokuspokus»
Interview mit Marco Casanova
Der Weinbauer Marco Casanova produziert biodynamisch. Das heisst, er lässt auf seine biologische Produktion kosmische Einflüsse einwirken. Der Schweizer Biowinzer des Jahres 2017 spricht über sein Winzer-Handwerk, veganen Wein und sein rettendes Crowdfunding. Der innovative Bündner erklärt, wie er seine Reben gegen einen japanischen Eindringling schützt und worauf Sie sich auf unseren Reisen in die Toskana freuen dürfen.
Weshalb bist Du Weinbauer geworden?
Der Zufall führte Regie. Mein ehemaliger Arbeitgeber, ein absoluter Weinfanatiker, nahm mich regelmässig mit auf Weinreisen. Auf diese Weise lernte ich die verschiedensten Weinbaubetriebe und Weingegenden kennen. Allmählich reifte der Gedanke, im Weinbau tätig zu sein.
Du bist ein spiritueller Mensch. Was ist der Sinn des Lebens?
Glücklich und zufrieden zu sein und achtsam mit den Mitmenschen und der Natur umzugehen.
Spiritualität spielt auch beim biologisch-dynamischen Weinbau eine bedeutende Rolle. Was versteht man unter dieser Produktionsmethode?
Der biologisch-dynamische Weinbau geht auf die anthroposophischen Ideen des Naturwissenschaftlers Rudolf Steiner Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Dabei wird der Weinbau als ganzheitliches Ökosystem betrachtet. Einerseits. Andererseits ist auch Rudolf Steiners spirituelle Weltanschauung relevant: Mondphasen und Planetenkonstellation spielen eine bedeutende Rolle. Die Biodiversität ist Basis für ein gesundes Gleichgewicht im Rebberg – und anderswo im Leben. Gesunder Humus ist die Voraussetzung für das Zusammenspiel verschiedenster Faktoren im Boden. Die Symbiose der Wurzel mit gesundem Humus versorgt die Pflanzen und deren Umgebung mit allem, was sie brauchen, stärkt deren Immunsystem und prägt im Zusammenspiel mit Tier, Pflanze, Mensch und Umwelt natürlich zum Schluss auch die Identität unserer Weine.
Planetenpositionen und Mondkalender beeinflussen Deine Arbeit im Rebberg und Keller. Wurdest Du anfänglich von Deiner Konkurrenz belächelt?
Belächelt nicht gerade, aber man sagt mir bis heute, dass Biodynamie Hokuspokus ist, weil sie nicht messbar ist. Ich sage entschieden: Biodynamie ist kein Hokuspokus. Sie lässt sich eher mit einem homöopathischen Präparat vergleichen. Aber auch hier gilt: Nimmt man das falsche Kügelchen, ist der Effekt gleich null. Beim biologisch-dynamischen Weinbau kommen keine chemischen Produkte zum Einsatz. Die Reben werden mit pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Substanzen bearbeitet.
Weshalb hast Du Dich für diese Bewirtschaftung entschieden?
Für mich war von Anfang klar, dass ich biologische Landwirtschaft betreibe. Aber schon bald merkte ich, dass mir diese Arbeitsweise zu langweilig und zu wenig herausfordernd ist. Ich habe dann die Biodynamie entdeckt, die das ganzheitliche Ökosystem beinhaltet. Mit Planeten, Tieren und Präparaten zu arbeiten, ist eine reizvolle Aufgabe.
Welche Traubensorten baust Du an?
Als ich den Betrieb in Walenstadt übernahm, habe ich an den klassischen Rebsorten Chardonnay, Pinot Noir, Sauvignon Blanc, Rheinriesling, Riesen-Silvaner, Gamaret und Cabernet Jura festgehalten. Mit diesen Rebsorten unter den steilen Felswänden der Churfirsten im Terrassenanbau und den kalkhaltigen Böden biologische Landwirtschaft zu betreiben, ist eine grosse Herausforderung. Vor allem am Walensee, wo ein aussergewöhnliches Mikroklima mit hoher Feuchtigkeit herrscht, das im Sommer für heisse Tage und kühle Nächte sorgt, was wiederum die Aromabildung der Trauben im Herbst positiv beeinflusst. Neu sind im letzten Jahr weisse Neuzüchtungen, pilzwiderstandsfähige Sorten, dazugekommen wie: Johanniter und Souvignier gris.
Wie viel beträgt der Mehraufwand gegenüber der herkömmlichen Produktion?
Das ist schwierig zu sagen, am Anfang vielleicht zwischen 10 und 15 Prozent. Längerfristig betrachtet lohnt es sich auf jeden Fall, die Abwehrstoffe der Pflanzen zu stärken. Wir müssen in der Folge weniger Spritzmittel einsetzen und können die Bodenbearbeitung reduzieren. Auf längere Sicht verbringen wir weniger Stunden im Rebberg.
Sind Deine Weine vegan?
Ja. Bei der Vinifikation verzichten wir auf tierische Produkte, etwa auf Eiweiss. Wenn wir zum Schönen des Weins ein Produkt verwenden, dann ist es Kartoffelstärke.
Wie wichtig ist Dir die Nachhaltigkeit im Weinbau?
Sehr wichtig. Wir bemühen uns, die meisten Arbeiten nicht mit dem Traktor, sondern von Hand, mit wenig Spritzmittel und Maschineneinsatz zu verrichten. Zum Vorschneiden der Reben im Winter und Obenabnehmen im Sommer benützen wir eine elektrische Heckenschere.
Gibt es im Weinbau auch einen CO₂-Fussabdruck?
Ja, den gibt es. Biodynamische Landwirtschaft muss man in ihrer Ganzheit sehen. Welche Geräte kommen auf dem Betrieb zum Einsatz? Mit welcher Heizung ist der Keller ausgestattet? Wie wird der Wein versandt – per Post, Bahn oder Auto? Betrachtet man diese Ganzheit, schneiden, was den CO₂-Fussabdruck anbelangt, biologische Betriebe besser ab als herkömmliche.
Wie macht der Klimawandel dem Weinbau zu schaffen?
Die Klimaerwärmung ist eine Herausforderung. Es stellt sich die Frage, welche Rebsorten in Zukunft angebaut werden sollen. Ein Beispiel: Der Pinot Noir im Wallis verfügt über hervorragende Lagen, aber in der Region wird es zunehmend wärmer. Das führt dazu, dass der Alkoholgehalt zunimmt und dadurch die Aromatik und Sortentypizität der Weine verändert wird. Mehr reife, schwerere und kompottartige Weine entstehen und nicht, was der Pinot Noir eigentlich ist: frisch, leicht und fruchtig. Junge Winzer müssen sich daher fragen, ob sie ihre Weinreben ausreissen und in höheren Lagen, wo es kühler ist, neu anbauen.
Die vor zehn Jahren aus Japan eingeschleppte Kirschessigfliege ist eine Folge der Globalisierung. Wie schützt Du Deine Reben gegen das Insekt und gegen die Pilzkrankheit Mehltau?
Gegen die Kirschessigfliege können wir uns nicht gross schützen, der Einsatz von Kalk hilft nur marginal. Als flankierende Massnahmen achten wir im Rebberg auf Biodiversität, wir mähen den Unterstockbereich, pflegen den Untergrund und verrichten Laubarbeiten – eine gut belüftete Traubenzone hilft ebenso gegen die Kirschessigfliege und Mehltau wie biodynamische Spritzpräparate wie Brennnesselsud, Schachtelhalm, Schwefel, Kalk und Milch-Backpulver sowie homöopathische Dosen von Kupfer.
Musstest Du in der Coronakrise Einbussen hinnehmen?
Da muss ich etwas ausholen. Ich habe unterschiedliche Kundengruppen. 60 Prozent sind private Kunden, 30 Prozent Gastronomen und 10 Prozent macht der Handel aus. Während der Coronakrise sind mir nur die Privatkunden geblieben. Trotzdem kann ich sagen: 2020 war das beste Jahr meines Berufslebens. Ich machte zwischen 15 und 20 Prozent mehr Umsatz als üblich. Das war grösstenteils der sehr guten Qualität des Weinjahrgangs 2018 geschuldet, aber auch diverse Auszeichnungen, die ich gewonnen habe. Hinzu kam, dass während Corona viele Leute generell nach Wein gegoogelt haben und dabei feststellten, dass biologisch-dynamischer Weinbau aufgrund seiner gesunden Produkte und Nachhaltigkeit im Trend liegt. Das hat den Umsatz deutlich gesteigert.
2017 bist Du zum Schweizer Biowinzer des Jahres ausgezeichnet worden. Was bedeutet Dir dieser Titel?
Sehr viel. Der Titel ist eine Auszeichnung für mein Schaffen. Seit 25 Jahren habe ich als Winzer immer alles gegeben. Ich liebe meine Arbeit und stehe mit Leichtigkeit auf am Morgen.
Im gleichen Jahr hat Dein junger Betrieb mit Crowdfunding sein Überleben gesichert. Was war passiert?
In den Jahren 2016 und 2017 richtete der Frühjahrsfrost in meinem Rebberg massiven Schaden an. In dieser Zeit verlor ich 30 respektive 70 Prozent der Jahresernte. Als Jungunternehmer war dies ein heftiger Schlag. Ich konnte einen Liquiditätsengpass nicht mehr vermeiden. Mir fehlte auf einmal Geld, um Flaschen, Korken und Etiketten zu kaufen. Deshalb habe ich ein Crowdfunding gestartet. Innert 100 Tage kamen etwas mehr als die nötigen 60'000 Franken zusammen. 144 Spenderinnen und Spender unterstützten mein Projekt. Es war eine überwältigende Erfahrung.
Im Mai und Juni dieses Jahres führen wir je eine Reise in die Toskana durch – eine Veloreise mit Sven Montgomery und eine Genussreise mit Willi Schmutz. Auf welche Weine dürfen sich unsere Gäste freuen?
Die Toskana hat landschaftlich, kulturell und kulinarisch sehr viel zu bieten. Unter anderem gehaltvolle Weine. Mit einer konkreten Empfehlung tue ich mich schwer. Wein trinken ist ein persönliches Erlebnis. Deshalb: Fahren Sie in die Toskana und probieren Sie die edlen Tropfen!
Welches ist der «Ferrari» in Deinem Weinkeller?
Ich habe ein paar schicke Wagen in der Garage (schmunzelt). «Ferrari» der roten Rebsorten ist der Pinot Noir Fürscht Blauburgunder. Er wurde zwölf Monate im Eichenfass ausgebaut und hat einen würzigen, kräuterbetonten Geschmack. «Ferrari» der weissen Rebsorten ist der Seemühle Chardonnay. Er ist im Barrique ausgebaut und überzeugt mit intensiver Frucht, guter Säurestruktur, mineralischen Noten und einer grossen Komplexität.
Interview: Thomas Wälti
Wein pur beim Wein-Buur
Marco Casanova wurde am 18. März 1968 in Zürich geboren. Er ist in Obersaxen GR aufgewachsen. Nach seinen Lehrstationen auf namhaften Schweizer Weinbaubetrieben übersiedelte der Bündner mit seiner Familie nach Narbonne in Südfrankreich. In La Clape im Languedoc-Roussillon war er mitverantwortlich beim Aufbau von Mas du Soleilla, ein kleines Weingut, das mit seinen Weinen zu internationaler Bekanntheit gelangte.
Ende 2007 suchte Marco Casanova in der Schweiz eine neue Herausforderung – und fand sie als Reb- und Kellermeister bei der Cicero Weinbau AG in Zizers GR, wo ihn Betriebsleiter Thomas Mattmann unter seine Fittiche nahm. 2011 übernahm Marco Casanova die Leitung des Betriebs.
2014 gründete Marco Casanova sein eigenes Unternehmen CasaNova WeinPur in Walenstadt. Es steht auf der Vinum-Liste der 150 besten Schweizer Weingüter. Auch die GaultMillau-Weinjury kürte den innovativen Bündner: 2019, 2020 und 2021 wählte sie ihn zu den 125 respektive 150 besten Schweizer Winzern. Den Ritterschlag hatte Marco Casanova 2017 erhalten: Er gewann die prestigeträchtige Auszeichnung «Schweizer Biowinzer des Jahres».
Marco Casanovas Weine tragen das Qualitätslabel Demeter, das für biodynamischen Anbau steht. Um das Gütesiegel des Demeter-Bundes zu erhalten, müssen hohe Anforderungen erfüllt werden. Etwa der Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger, die Berücksichtigung der ökologischen Vielfalt im Rebberg und die qualitative Arbeit mit den Reben und im Keller. Dazu kommt der Einsatz von biodynamischen Präparaten aus Kräutern, Kuhmist und Mineralien sowie die Arbeit in verschiedenen Mond- und Planetenkonstellationen.
Marco Casanova