«Vor dem Rennen verschlang ich noch einen Hotdog»

Interview mit Marco Büchel

Marco Büchel hat die edelline-Wandergruppe im Sommer über die legendäre Kandahar-Strecke geführt. Der Super-G-Sieger von 2003 spricht über das Innenleben eines Skirennfahrers, die steilste Stelle im Skiweltcup und darüber, wie er mit einem «Bschiss» Ski-Weltmeister Martin Hangl verärgerte.
  

Du hast 2003 auf der Kandahar-Strecke den Super-G gewonnen. Mit welchen Gefühlen kehrst Du nach Garmisch-Partenkirchen zurück?
Marco Büchel:
Mit Garmisch-Partenkirchen verbinden mich wunderschöne Erinnerungen. Sie kommen nun wieder zum Vorschein. Hier hatte ich 1991 mein Debüt im Weltcup gegeben, hier gewann ich 2003 mein erstes Weltcuprennen und hier bin ich 2010 zurückgetreten. Das Spezielle daran: Als ich zurücktrat, war ich fast auf den Tag genau doppelt so alt wie beim ersten Rennen.

Welche Passage auf der Kandahar-Piste hat Dich am meisten beeindruckt?
Der Streckenabschnitt Ausfahrt Hölle-FIS-Schneise kostete mich immer wieder sehr viel Überwindung. An dieser Stelle, vor der anschliessenden Kurve ins Ziel, konnte man viel gewinnen oder das Rennen verlieren. Als wir diese Passage durchwanderten, kamen bei mir die Emotionen hoch. Eindrücklich ist ohne Frage der Freie Fall. Die Fahrer schiessen mit etwa 80 km/h auf die steilste Stelle im Skiweltcup zu. Nach dieser Kante fliegen die Cracks in ein schwarzes Loch. In der Luft hat jeder ein Kribbeln im Bauch.

Was wolltest Du unseren Gästen auf der Wanderung vermitteln?
Die Kandahar-Strecke wird oft unterschätzt. Es war mir ein Anliegen, den Gästen zu zeigen, dass der Abfahrts-Klassiker hohe Anforderungen an die Fahrer stellt. An verschiedenen Schlüsselstellen wollte ich der edelline-Wandergruppe Einblick ins Innenleben eines Skirennfahrers zu geben. Ich garnierte meine Referate mit Hintergrundgeschichten, die ich oder andere Berufskollegen erlebt hatten. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, die Ausflügler bestens zu unterhalten. Einerseits. Andererseits wollte ich, dass die Gäste am Ende der Wanderung die Kandahar-Strecke besser verstehen als zuvor. Wenn ich das Abschlussfoto betrachte, die vielen leuchtenden Augen, so glaube ich, dass ich mein Ziel erreicht habe.

Du hast unterwegs zahlreiche Anekdoten zum Besten gegeben. Erzähle den Daheimgebliebenen doch eine kurze Geschichte.
Mein allererstes Weltcuprennen bestritt ich 1991 in Garmisch-Partenkirchen, einen Super-G. Damals gab es noch Sternchenfahrer. So nannte man jene fünf Fahrer, die vor den arrivierten Rennläufern auf die Piste gingen und in der Rangliste deshalb mit einem Sternchen versehen wurden. Diese «Vorspurer» setzten sich aus den letzten 20 Prozent des Starterfeldes zusammen. Ich trug Startnummer 72 und wurde als letzter Sternchenfahrer ausgelost. Am Morgen hielt ich mich im Zielraum auf und war überwältigt von der glamourösen Bühne des Skiweltcups. Vor dem Rennen verschlang ich noch einen Hotdog. Plötzlich wurde ich aufgefordert, sofort an den Start zu gehen. Natürlich war ich viel zu spät dran.

Bist Du rechtzeitig zum Rennen gestartet?
Ja, der Startrichter fuchtelte bereits mit den Armen. Mit Ach und Krach konnte ich die Jacke ausziehen und die Schnallen schliessen. Dabei stiess mir der Hotdog sauer auf. Ich katapultierte mich aus dem Starthaus. Bis zur Hölle war ich flott unterwegs, dann trieb es mich nach einer Rechtskurve zu weit nach unten. Ich merkte sofort, dass ich es nicht mehr ins nächste Tor schaffe. Stinkfrech liess ich dieses aus, um in der Hocke das nächste Tor zu erwischen. Ich kam mit Bestzeit ins Ziel. Nach mir folgte der Schweizer Teamkollege Martin Hangl mit Startnummer 1. Auch der Super-G-Weltmeister von 1989 war langsamer als ich, belegte Platz zwei. Er fluchte wie ein Rohrspatz. Jetzt werde er sogar von einem Sternchenfahrer geschlagen, liess er verlauten. Zu diesem Zeitpunkt konnte er ja nicht wissen, dass ich ein Tor ausgelassen hatte.

Du hast auch eine Anekdote über den ehemaligen Schweizer Männer-Cheftrainer Karl Frehsner erzählt. Bitte verrate sie den Daheimgeblieben.
Ich trainierte für die Abfahrt von Bormio und besichtigte ein flaches Teilstück. Karl Frehsner stand am Pistenrand und sagte in seiner unnachahmlichen Art zu mir: «Hier musst Du Dich klein machen wie eine Maus. Tust Du es nicht, ist Deine Maus meine Maus!»

«Wir schaffen Begegnungen mit Insidern, bringen Menschen zusammen und werfen einen Blick hinter die Kulissen von Gesellschaft, Kultur und Sport» ist unsere Corporate Identity. Findest Du unsere Wanderreise «Auf den Spuren der vier Ski-Klassiker» zeitgemäss?
Ich finde diese Reise nicht nur zeitgemäss, sondern genial. Sie verbindet den Skirennsport mit dem hippen Outdoor-Erlebnis Wandern. Was für eine Traumreise für Skirennsportbegeisterte: Vier Skistationen, vier Weltcupstrecken und fünf Ski-Persönlichkeiten – Gastgeber und Radiolegende Bernhard Schär hat ebenfalls einen super Job gemacht. Dem Reiseveranstalter edelline gebührt ein dickes Kompliment für diese einzigartige Idee.

Interview/Bild: Thomas Wälti

 

Reise-Reportage: «Auf den Spuren der vier Ski-Klassiker»

Wir haben die Highlights der Wanderreise in einem spannenden Blog-Beitrag aufgezeichnet. 

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