«Unsere Gäste können in Georgien bedenkenlos Ferien verbringen»
Im zweiten Teil des Interviews spricht Lukas Beglinger über die Lage in Georgien nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Um es gleich vorwegzunehmen: «Unsere Gäste können in Georgien bedenkenlos Ferien verbringen», sagt der ehemalige Schweizer Botschafter in Tbilisi.
Lukas Beglinger, was hat sich in Georgien ein knappes Jahr nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert?
Lukas Beglinger: Paradoxerweise hat sich die georgische Wirtschaft im Jahr 2022 mit einem geschätzten Realwachstum von 10% ausgezeichnet entwickelt, dank boomender Einkünfte aus Tourismus und Transitverkehr sowie spürbar gestiegener Immigration aus Russland. Aussenpolitisch hat Georgien analog zur Ukraine und zu Moldawien die Gelegenheit genutzt, um ein EU-Beitrittsgesuch einzureichen. Die EU hat Georgien zwar eine Beitrittsperspektive attestiert, die Gewährung des Kandidatenstatus aber an eine Reihe von Bedingungen beziehungsweise Reformen geknüpft. Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft arbeiten nun an der Erfüllung dieser Vorgaben, ein Prozess, der sich aufgrund der polarisierten innenpolitischen Verhältnisse schwierig gestaltet.
Viele Russen sind seit dem Kriegsausbruch und insbesondere seit Präsident Putins Teilmobilmachung nach Georgien eingereist. Wie ist die Stimmung im Land?
Georgien ist in Russland seit langem als attraktive Tourismusdestination beliebt. Grosse Teile der georgischen Bevölkerung können problemlos auf Russisch kommunizieren und tun dies bei Bedarf auch bereitwillig. Die erhöhte russische Zuwanderung im vergangenen Jahr gibt vor allem in politischer Hinsicht Anlass zu Fragen und Kritik, zumal die georgischen Einreise- und Aufenthaltsregelungen für russische Staatsangehörige sehr liberal sind. Wirtschaftlich profitiert Georgien vorerst von der Zuwanderung und damit verbundenen Geldflüssen. Insgesamt erhält man den Eindruck, dass die anhaltenden innenpolitischen Spannungen und die pendente EU-Beitrittsfrage die georgische Bevölkerung stärker beschäftigen als die Immigration aus Russland.
Befürchtet man in Georgien, in den Ukraine-Krieg hineingezogen zu werden, angesichts der von Russland unterstützten abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien?
Die georgische Regierung ist sichtlich bestrebt, beim grossen Nachbarn im Norden möglichst wenig anzuecken. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine weckt in Georgien schmerzhafte Erinnerungen an eigene militärische Auseinandersetzungen mit Russland, aber man fühlt sich davon nicht unmittelbar bedroht. Russische Truppen sind seit Jahren in Abchasien und Südossetien stationiert, und Georgien hat gelernt, damit zu leben beziehungsweise umzugehen.
Reisen Touristen in dieser turbulenten Zeit überhaupt nach Georgien?
Erstaunlicherweise hat sich der georgische Tourismussektor im Jahr 2022 trotz des Ukraine-Kriegs weitgehend vom pandemiebedingten Einbruch erholt – dies nicht nur dank einer markanten Zunahme von Touristen aus Russland, sondern auch aus Europa und anderen Weltregionen. Dieser Erfolg zeugt von der zunehmenden touristischen Anziehungskraft des Landes.
Sie wohnen mit Ihrer Frau Barbara in Udscharma, im Osten des Landes, wo Sie ein Haus mit Weinkeller gebaut sowie einen Gemüse- und Obstgarten angelegt haben. Hand aufs Herz: Spüren Sie dort nichts vom Ukraine-Krieg?
Nein – abgesehen von etwas häufiger anzutreffenden Autos mit russischen oder ukrainischen Schildern.
Unsere Gäste können im kommenden September also bedenkenlos in dieser Gegend Ferien verbringen?
Absolut, unsere Gäste können in Georgien bedenkenlos Ferien verbringen – und sie können sich ausserdem auf die sprichwörtliche georgische Gastfreundschaft freuen!
Lukas Beglinger (rechts) im Podiumsgespräch am Georgien-Event mit Moderator Yves Schott.
Interview: Thomas Wälti / Bilder: Romel Janeski / ZVG