«Herr Kernen, ich habe im Moment ganz andere Sorgen»

Interview mit Bruno Kernen

Bruno Kernen hat die edelline-Wandergruppe im Sommer über die längste Abfahrtsstrecke der Welt geführt. Der Lauberhornsieger von 2003 plauderte gut gelaunt aus dem Nähkästchen.
 

Du hast 2003 die Lauberhorn-Abfahrt gewonnen. Mit welchen Gefühlen kehrst Du nach Wengen zurück?
Bruno Kernen:
Es ist wie ein Heimkommen und stets ein Freudentag, wenn ich Wengen besuche. Wengen ist mein Kraftort. Schon beim Einsteigen in Lauterbrunnen sind bei mir Erinnerungen hochgekommen. Zu Aktivzeiten sass ich jeweils voller Hoffnung in der Wengernalpbahn. In Wengen lief ich dann mit Sack und Pack durchs Dorf ins Teamhotel. Oftmals reiste ich Ende Woche arg gebeutelt wieder ab. Der Sieg in der Lauberhorn-Abfahrt war lange mein Traum – 2003 wurde er Wirklichkeit. Am Lauberhorn erlebte ich die mit Abstand schönsten Emotionen. Mein Weltmeister-Titel 1997 war bezüglich Nachhaltigkeit allerdings bedeutender. Er öffnete mir viele Türen.

Welche Passage auf dem Lauberhorn-Trail hat Dich am meisten beeindruckt?
Für mich gibt es auf dieser Wanderung nicht mehr die Schlüsselstelle. Emotional verbunden bin ich mit dem Starthaus. Dort hängt mein Rennski. Es war ein bedeutender und emotionaler Tag in meinem Leben, als ich diesen Ski am 6. Juli 2007 buchstäblich an den Nagel hängte und meinen Rücktritt vom Spitzensport bekanntgab. Als Bub träumte ich davon, Skirennfahrer zu werden. Diesen Bubentraum habe ich mir erfüllt. Ein spezieller Ort für unsere Gäste war zweifellos der Hundschopf – eine eindrückliche Passage. Stolz und dankbar bin ich dafür, dass das OK Lauberhorn ein Jahr nach meinem Rücktritt das Brüggli-S auf den Namen Kernen-S umgetauft hat.

Was wolltest Du unseren Gästen auf der Wanderung vermitteln?
Es war mir wichtig, den Gästen Eindrücke zu vermitteln, die sie im Fernsehen nicht mitbekommen. Deshalb habe ich auch aus dem Nähkästchen geplaudert und unterwegs viele Fragen beantwortet. Es freut mich sehr, dass der Skisport immer noch so viel Interesse weckt.

Du hast unterwegs zahlreiche Anekdoten zum Besten gegeben. Erzähle den Daheimgebliebenen doch eine kurze Geschichte.
Mit meinem Sohn fuhr ich einst mit dem Bike um den Murtensee. Plötzlich sagte er zu mir: «Komm Papi, wie spielen Rollentausch! Du bist jetzt ich und ich bin du.» Ich fragte ihn, ob ich anfangen könne. Er willigte ein. Also sagte ich: Papi, geht es noch weit? Papi, ich bin müde. Papi, mir tut der Hintern weh. Papi, ich habe Hunger. Papi, ich habe Durst. Erst schaute mich mein Sohn mit grossen Augen an, dann unterbrach er mich: «Papi, du bist so doof!»

Du bist beim Weltcup-Saisonfinale am 14. März 2007 in Lenzerheide schwer gestürzt und musstest daraufhin Deine Karriere aus gesundheitlichen Gründen beenden. Unsere Gäste waren tief beeindruckt, als sie hörten, was Du zur Notärztin gesagt hast, als sie Dir auf der Piste erste Hilfe leistete. Bitte verrate es den Daheimgeblieben.
Ich lag mit einer dreifach gebrochenen Nase, einer eingedrückten Kieferseite, zwei kaputten Knie und einer Lungenquetschung im Schnee. Die Behandlung zog sich dahin. Ich wusste, dass die stetige Sonneneinstrahlung die Piste langsamer macht. Und Didier Cuche, der noch Chancen hatte, den Abfahrts-Weltcup zu gewinnen, war noch oben am Start. Ich sagte zur Notärztin: «Je länger diese Behandlung dauert, desto schwieriger wird es für Cuche, schnell Ski zu fahren. Bitte beeilen sie sich!» Die Notärztin antwortete unverzüglich: «Herr Kernen, ich habe im Moment ganz andere Sorgen.»

«Wir schaffen Begegnungen mit Insidern, bringen Menschen zusammen und werfen einen Blick hinter die Kulissen von Gesellschaft, Kultur und Sport» ist unsere Corporate Identity. Findest Du unsere Wanderreise «Auf den Spuren der vier Ski-Klassiker» zeitgemäss?
Absolut. 08/15-Reisen bekommt man an jeder Ecke angeboten. Diese Reise hingegen finde ich einzigartig. So stelle ich mir den Tourismus der Zukunft vor. Ich gratuliere edelline, dass es den Mut hat, solch spezielle Erlebnisse auszuarbeiten.

Interview/Bild: Thomas Wälti

 

Reise-Reportage: «Auf den Spuren der vier Ski-Klassiker»

Wir haben die Highlights der Wanderreise in einem spannenden Blog-Beitrag aufgezeichnet. 

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