«Georgien bietet für jeden etwas»

Willkommen in Georgien – unserem exklusiven Reiseziel im Herbst dieses Jahres! Lukas Beglinger, der ehemalige Schweizer Botschafter in Tiflis, bringt Ihnen das faszinierende Land zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer näher. Im Interview verrät er, was ihn dazu bewogen hat, seinen Wohnsitz in diesem Land beizubehalten. Der Diplomat spricht auch über Georgiens Weinkultur, den aufblühenden Tourismus und die Zukunftsaussichten der ehemaligen Sowjetrepublik.
 

Was hat Sie als ehemaligen Botschafter in Georgien dazu bewogen, Ihren Wohnsitz in diesem Land beizubehalten?

Lukas Beglinger: Das fragen mich nicht nur Schweizer, sondern auch viele Georgier (lacht). Vermutlich bin ich der erste Botschafter, der nach seiner Pension gleich im Land geblieben ist. Während meines dreijährigen diplomatischen Einsatzes diskutierten meine Frau und ich oft über diese Möglichkeit. Am Schluss gaben Land und Leute den Ausschlag.

Was fasziniert Sie an Georgien?

Die Menschen. Die Georgier sind wunderbare, offene, herzliche und gastfreundliche Leute. Obwohl Georgien aufgrund seiner Topografie und seiner Traditionen einige Gemeinsamkeiten mit der Schweiz aufweist, was dem Land durchaus zum Vorteil gereicht, zeichnet es sich auch durch viele Eigenheiten aus. Georgien blickt auf eine jahrtausendelange Kulturgeschichte zurück; es war einer der ersten christlichen Staaten, hat eine eigene Sprache und seit dem 5. Jahrhundert n. Chr. ein eigenes Alphabet – obschon das Land nicht mal vier Millionen Einwohner zählt. Georgien gilt als Wiege des Weins – gemäss archäologischen Funden wird dort seit mindestens 8000 Jahren Wein hergestellt. Speziell ist auch, dass Georgien von der letzten Eiszeit verschont geblieben ist. Deshalb wachsen dort Pflanzen, die sonst nirgendwo in Europa zu finden sind. Zur Faszination Georgiens gehören für mich nicht zuletzt das wunderbare Essen und die in der Bevölkerung tief verankerten Traditionen georgischer Ess- und Trinkkultur. Dieses Bündel faszinierender Aspekte hat uns ermutigt, nach meiner Pensionierung im Land zu bleiben. Wir exportieren nun georgischen Wein in die Schweiz. So können wir die Beziehung zwischen den beiden Ländern pflegen.

Ist es verbürgt, dass Georgien die Wiege des Weins ist?

Ja, es gab – wie erwähnt – archäologische Funde, die darauf hinweisen. Natürlich können auch Georgiens Nachbarländer Armenien und die Türkei sowie der Iran zur Ursprungsregion des Weins im weiteren Sinn gezählt werden, doch ist es Georgien, das die älteste Methode der Weinherstellung in Tongefässen, die im Boden eingegraben sind – sogenannten Kvevri – bis heute ununterbrochen praktiziert und damit seit einigen Jahren internationales Interesse weckt.


Georgien-Event des Reiseunternehmens edelline im Le Beizli, Bern-Liebefeld.

In Georgien gibt es Hunderte von Rebsorten. Schmecken traditionell hergestellte georgische Weine anders als europäische?

In Georgien existieren über 500 Rebsorten, die im Westen weitgehend unbekannt sind. Rund 40 Sorten werden für die kommerzielle Weinherstellung verwendet, sei es mittels der europäischen, «modernen» Methode, sei es nach traditioneller Art, das heisst in Kvevri. Kvevri-Wein hat einen ganz eigenen Geschmack, vor allem jener, der aus weissen Trauben hergestellt wird. Wegen seiner dunklen Farbe wird dieser «oranger Wein» oder «bernsteinfarbener Wein» genannt. Er bildet eine separate Weinkategorie neben Weiss-, Rosé- und Rotwein. Seine Farbe und seinen besonderen, komplexen Charakter erhält er nicht nur vom Tongefäss, sondern vor allem von der Maischegärung. Bei dieser uralten, naturnahen Methode wird das Traubengut samt Schalen, Kernen und teilweise auch Stielen auf der Maische vergoren, ohne Zugabe von Zuchthefen und ohne starke Eingriffe wie Filtration und Schönung. Zum Vergleich: Bei uns in der Schweiz wird für Weisswein nur der Traubensaft vergoren, die in den Traubenschalen enthaltenen Nähr- und Geschmacksstoffe gehen damit überwiegend verloren.

Sie haben das feine Essen in Georgien erwähnt. Was ist das Besondere daran?

Georgiens mediterran geprägte Küche ist im gesamten Osten Europas berühmt und beliebt. Wer sich beispielsweise in Russland oder Polen aufhält und gut essen will, geht oft zum «Georgier» – ein sicherer Wert. Da Georgien an der Kreuzung zwischen Europa und Asien liegt, kennt seine Küche viele spezielle Gewürze – ein Genuss für Nase, Gaumen und Magen! Ich mag kalte Vorspeisen wie Auberginen mit Baumnussfüllung oder Spinat-Nuss-Paste. Oder Huhn mit Baumnusssauce. Baumnüsse sind der Inbegriff der georgischen Küche, dementsprechend ist der Nussbaum im Land überall anzutreffen. Aber auch Salat, Kräuter, Granatäpfel, Käsefladenbrot und vielfältige Fleischgerichte gehören zur georgischen Küche. Die Georgier haben ein enges Verhältnis zur Natur und zu dem, was die Natur hergibt – das brauchten sie seit jeher zum Überleben. Ich kann Ihnen ein aktuelles Beispiel geben.

Bitte schön.

Vor zwei Wochen haben wir in einem Dorf frische Bärlauchsprossen gekauft. Frischer und jünger geht nicht. Die Marktfrauen hatten diese kurz zuvor im Wald eingesammelt. Diese Kenntnis essbarer Wildpflanzen ist in Georgien immer noch weit verbreitet. Überhaupt: Die georgische Küche ist sehr gesund. Von ausländischen Besuchern höre ich oft, dass Georgiens Tomaten viel besser schmecken als jene in ihren Herkunftsländern. Weil viele Einheimische keine Tiefkühltruhen besitzen, konservieren sie Gemüse und Obst in Einmachgläsern. Das ist eine naturnahe, saisongerechte Produktion.


Lukas Beglinger (rechts) im Podiumsgespräch am Georgien-Event mit Moderator Yves Schott.


Georgien gilt als enorm vielfältiges, touristisch attraktives und ausgeprägt gastfreundliches Land, ist jedoch in der Schweiz bis anhin eine noch wenig bekannte Feriendestination. Woran liegt das?

Dass Georgien in der Schweiz relativ unbekannt ist, hängt mit seiner Geschichte zusammen. Das Land war als Sowjetrepublik 70 Jahre lang vom Westen abgeschnitten. Innerhalb der Sowjetunion nahm Georgien in mancher Hinsicht eine Sonderstellung ein, es versorgte die sowjetische Bevölkerung unter anderem mit Wein, Tee und Früchten. Nach der Unabhängigkeit 1991 schlitterte das Land sowohl politisch als auch wirtschaftlich und sozial in eine tiefe Krise. Noch sind nicht alle Probleme gelöst. Der Tourismus hat sich in den letzten Jahren aber stark entwickelt und ist inzwischen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Er bietet vielen Menschen Arbeit.

Wer reist nach Georgien?

Ein Grossteil der Touristen stammt naturgemäss aus der Region: aus Russland, Armenien, Aserbaidschan, der Türkei, dem Iran und den Golfstaaten. Aber zunehmend interessieren sich auch Reisende aus Europa und Übersee für Georgien. Bereits in den 1990er-Jahren wurde das Land eine beliebte Destination für Heliskiing. Heute kommen Bergsportbegeisterte an den bis zu 5000 Meter hohen Flanken des Kaukasus ebenso voll auf ihre Kosten wie jene Gäste, die in den spärlich besiedelten Tälern Swanetiens oder Tuschetiens autark unterwegs sein möchten. Naturinteressierte kommen, um seltene Vögel oder Pflanzen zu sehen und in Nationalpärken zu wandern. Georgien hält zudem viele Unesco-Weltkulturgüter bereit – einzigartige Klöster und Kirchen. Kurz: Georgien bietet für jeden etwas.

Wie steht es um die Infrastruktur im Land? Fahren die Züge? Wie sehen die Autobahnen aus? Ist das Land sicher?

Ja, in Georgien fahren sogar Stadler-Züge (schmunzelt). Georgien ist kein Drittweltland. Zu Sowjetzeiten zählte Georgien zur sogenannten zweiten Welt. Im Land kann man sich sicher fühlen. Heikelstes Sicherheitsthema für Touristen ist der Strassenverkehr. Ich würde niemandem empfehlen, selbst Auto zu fahren, wenn er oder sie die lokalen Verhältnisse und Verhaltensweisen nicht kennt. Auch das Trinkwasser ist grundsätzlich unbedenklich, zudem verfügt Georgien über eine Vielzahl bekannter Mineralwässer, die sogar exportiert werden.

Als Schweizer Botschafter hatten Sie einen privilegierten Einblick in die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse Georgiens. Wie würden Sie die aktuelle Situation im Land charakterisieren und wie präsentieren sich dessen Zukunftsaussichten?

Georgiens Regierung strebt einen Nato- und EU-Beitritt an. Ob das eine realistische Ambition ist, ist fraglich, doch dient sie als wertvoller Kompass für die anzugehenden Reformen. Das sowjetische Erbe ist in vielen Bereichen nach wie vor spürbar und hinderlich, und das Land tut gut daran, sich an westlichen Standards zu orientieren. Politisch, wirtschaftlich und sozial befindet sich Georgien weiterhin in einer Transformationsphase, es benötigt weitreichende Reformen und Aufbauarbeit in zahlreichen Bereichen. Es dürfte weit länger als eine Generation dauern, bis sich eine funktionierende Demokratie, ein leistungsfähiger Rechtsstaat und eine wettbewerbsfähige Marktwirtschaft etabliert haben. In diesem Jahr finden Parlamentswahlen statt, und bereits die Einführung eines fairen Wahlsystems sorgt seit Monaten für heftige politische Auseinandersetzungen. Die wirtschaftliche und soziale Situation im Land bleibt schwierig. Viele Georgier verlassen ihr eigenes Land und versuchen ihr Glück im Ausland. Georgien muss aber auf eigenen Beinen stehen. Der Tourismus und die Landwirtschaft mit ihrer einzigartigen Weinkultur sind dabei wichtige Faktoren.

Bekanntlich stammte Josef Stalin, ehemaliger Generalsekretär der Kommunistischen Partei der UdSSR, aus Georgien. Das Land brachte auch die ersten Schachheldinnen der Geschichte hervor: Nona Gaprindaschwili (Weltmeisterin 1962-1978) und Maia Tschiburdanidse (1978-1991). Wie erklären Sie sich diese 29 Jahre dauernde Dominanz?

Zu Sowjetzeiten waren Nona Gaprindaschwili und Maia Tschiburdanidse Georgiens Stolz. Mittels ihrer Vormachtstellung im Schach wollte die Sowjetunion der Welt ihre Überlegenheit demonstrieren. Die Frauen spielen in Georgien allgemein eine spezielle Rolle, nicht nur im Schach. Georgien hat charakterstarke Frauen, die mit ihrer Kompetenz, ihrer Arbeitskraft und ihrem Engagement sowohl den Staat als auch die Gesellschaft massiv stützen.
 


Georgiens Fürsprecher: Lukas Beglinger weiht eloquent in die Geheimnisse eines faszinierenden Landes ein.


Über Lukas Beglinger

In der Schweizer Botschaft in Kairo begann Lukas Beglinger 1986 seine Diplomatenlaufbahn. Als Botschafter wirkte er in Kosovo/Pristina (2008 – 2011), Polen/Warschau (2011 – 2014) und Georgien/Tiflis (2015 – 2018). Nach seiner Pensionierung beschloss er mit seiner Frau Barbara Kohler Beglinger in Georgien zu bleiben und georgischen Wein in die Schweiz zu exportieren. Das ehemalige Botschafterpaar lebt in Udscharma, im Osten des Landes, wo sie ein Haus mit Weinkeller gebaut sowie einen Gemüse- und Obstgarten angelegt haben. Das Dorf Udscharma ist bekannt für seine Festung.

Lukas Beglinger ist Managing Partner der Firma «Best of Georgia & More GmbH» und in dieser Funktion namentlich für die Beziehungen zu georgischen Weinproduzenten, zu Behörden und anderen Partnern vor Ort sowie für Kommunikationsaufgaben zuständig. In seiner Freizeit geht Lukas Beglinger gerne auf Reisen, liebt Bergsteigen und Skifahren, hört Jazz oder spielt auf seiner Gitarre. Er möchte auch Alphorn spielen lernen. Das typisch schweizerische Instrument hat ihm seine Frau geschenkt. Lebensqualität bedeutet für Lukas Beglinger und Barbara Kohler Beglinger auch, vor ihrem Haus dem Gesang einer Nachtigall zuzuhören oder mit ihren beiden Katzen zu spielen.

Interview: Thomas Wälti  / Fotos: Romel Janeski

Vorheriger Bericht Nächster Bericht

Zurück zu "Blog"