Albanien mit zwei Bloggern erleben, Teil 1

«So klein die Geste sein mag, das Lächeln gab uns Mut»

Anfang Mai reisen wir mit dem Edelliner nach Albanien. Steffi Rickenbacher und Lui Eigenmann waren schon dort. Mit ihrem Camper namens Karl haben sie das nahezu unbekannte Land entdeckt. Im ersten Teil des Interviews erzählen die beiden Schweizer Blogger von Esel-Karren und dicken Mercedes-Langversionen im Strassenverkehr, herrlich duftenden Brotsorten in der Bäckerei und vom Llogara-Pass – Höhepunkt ihres Albanien-Abenteuers.

 

Sie standen mit vielen Vorurteilen am Grenzübergang von Montenegro nach Albanien. Was ist Ihnen in diesem Moment durch den Kopf gegangen?
Steffi Rickenbacher: Albanien war für uns nicht nur eine Unbekannte, sondern schon weit vor der Einreise durch negative Vorurteile, geschürt durch Bekannte mit Herkunft vom Balkan, belastet worden. Entsprechend nervös waren wir bei der Anreise zur Grenze. Was wird uns wohl erwarten? Werden wir mit offener Korruption konfrontiert? Speziell Lui hatte bereits recherchiert, wie lange wir für die Fahrt bis Griechenland brauchen. Plan B stand also.

Missgelaunte Zöllner können Touristen das Einreisen vermiesen. Wie verhielten sich die albanischen Grenzbeamten in diesem Moment – gaben Sie eine gute Visitenkarte ab?
Lui Eigenmann: Der Zoll war unübersichtlich, LKWs parkten kreuz und quer neben, aber auch auf der Strasse. Wobei Strasse, naja, die war mit Löchern übersät. Langsam rollten wir in der Kolonne gen Zoll und wurden von einem Grenzbeamten mit einem Lächeln auf seinem Gesicht begrüsst. So klein die Geste sein mag, dieses Lächeln gab uns Mut. Wird schon nicht so schlimm werden, wenn der Zöllner freundlich ist.


Achtung rechts! Typische Strassenszene in Albanien.

Merkten Sie nach dem Grenzübertritt sofort, dass Sie in einem ganz anderen Land unterwegs sind?
Lui Eigenmann: Quasi mit der definierten Grenzlinie hat sich alles verändert. Montenegro ist jetzt nicht das fortschrittlichste Land, doch Albanien ist eine andere Kategorie. Es fühlt sich ein bisschen wie eine Zeitreise an, wenn da auf einmal Esel-Karren auf der Hauptstrasse fahren, die Felder ebenfalls mit Eseln oder Ochsen bewirtschaftet werden, Kinder-Hirten ein paar Ziegen oder ein, zwei Kühe tagsüber zum Grasen vor sich her treiben, Fahrzeuge auf der Strasse fahren, die gemäss unserem Verständnis gar nicht mehr fahren können und auch die Häuser sehr viel einfacher gehalten sind.

Fühlten Sie sich in Albanien von Anfang an sicher?
Steffi Rickenbacher: An Albanien muss man sich erst etwas gewöhnen, so erging es zumindest uns. Ich bin deutlich grosszügiger mit dem Vertrauensvorschuss, für Lui war der erste Halt in Shkodër eine grosse Belastung. Er fühlte sich absolut nicht wohl. Vor allem in den ersten Nächten nahmen wir jedes Geräusch um den Bus wahr. Mit der Zeit legte sich diese Unsicherheit aber, denn die Menschen begegneten uns Touristen äusserst freundlich und zuvorkommend. So verflogen nach ein paar Tagen die negativen Vorurteile und wurden durch die erlebte Realität erlebt: Albanien ist anders, aber nicht gefährlich. Okay, ausser bei Fahrten in der Dämmerung oder Nacht, davon raten wir scharf ab.


Ein Stück Zeitgeschichte. Eingang zur Burg Rozafa.

Erlebten Sie nie eine beunruhigende Situation?
Steffi Rickenbacher: Naja, unser Sicherheitsbedürfnis ist sehr unterschiedlich. Vor allem in den ersten Tagen waren für Lui schon volle Strassen beunruhigend. So kam es, dass ich mich alleine durch die Strassen aufmachte, um einzukaufen und Lui im Camper wartete. Er wollte unser Fahrzeug nicht alleine lassen, und da es keine grossen Supermärkte gab, mussten verschiedene kleine Geschäfte aufgesucht werden. Diese Aufgabe habe ich dann alleine gemeistert. Mit Händen und Füssen lässt es sich gut verständigen, bloss was genau ich da aus dem grossen Kessel in der Käserei kaufte, wusste ich halt nicht. Egal, es war lecker und Lui nach ein paar Tagen dann auch etwas entspannter.

Als erstes Ziel steuerten Sie die Stadt Shkodër an. Auf der Suche nach einem Stellplatz lernten Sie Albaniens Strassenverkehr kennen. Wie war Ihr erster Eindruck?
Lui Eigenmann: Nach wenigen Kilometern sind wir an einem schweren Unfall vorbeigekommen, der wohl erst ein paar Minuten vorher passiert war. Etwa eine halbe Stunde später wurden wir von einer Kolonne Fahrzeugen mit Blaulicht in irrsinnigem Tempo überholt – keine Polizei, sondern dicke Mercedes-Limousinen. Wie die so schnell fahren konnten, ist uns bis heute ein Rätsel. Die Strassen sind von grossen Löchern gesäumt, Esel-Karren und Fahrräder – auch auf der eigenen Fahrspur entgegenkommend – sind der Regelfall, nicht die Ausnahme und generell rennt da alles, was halt rennen kann, auf der Strasse rum. Kühe, Ziegen, Hunde, Schafe, Katzen, Esel, Kinder – wie gesagt, alles!


Die Gegensätze in Albanien sind enorm: Mercedes vs. Moped.

Wie nahmen Sie den Verkehr in Albanien wahr – fährt man bei Tageslicht sicherer als nachts?
Steffi Rickenbacher: Nachtfahrten – egal ob «Autobahn» oder Landstrasse – sollten unbedingt vermieden werden. Das wussten wir, verquatschten uns aber in Durrës mit einer Bekannten und fuhren dann doch im Dunkeln auf den Campingplatz zurück. Wir wurden von einem unbeleuchteten Auto noch in der Stadt überholt, da kam aber einer entgegen. Der Überholende zog einfach auf unsere Spur zurück. Hätte Lui nicht so schnell reagiert und eine Vollbremsung gerissen, wäre da kein Platz gewesen und es hätte voll geknallt. Gefährlich sind aber nicht nur unbeleuchtete Fahrzeuge und idiotische Fahrstile, sondern auch die ganzen Löcher sowie die Tiere und Menschen auf der Strasse, die bei Nacht erst viel zu spät gesehen werden können.

Sie gingen in die Stadt. Was fiel Ihnen auf?
Lui Eigenmann: Genau, dank Steffis Dickschädel sind wir nach dem Einchecken auf dem Campingplatz in Shkodër zu Fuss ins Stadtzentrum gegangen. Vorbei an einem Fischverkäufer, der dicke Karpfen aus einem Aquarium verkaufte, das kaum grösser als die Fische war. Vorbei aber auch an einer Roma-Siedlung, die aus Wellblechhütten und Plastikfetzen bestand, drum herum quasi eine Müllkippe. Daneben ein für albanische Verhältnisse modernes Hochhaus – die Gegensätze im Land sind enorm. Roma-Jungs fahren mit uralten und rostenden Mopeds durch die Strassen, sie suchen Altmetall. Überholt werden sie von dicken Mercedes-Langversionen, wie sie selbst auf unseren Strassen selten zu sehen sind. Die Roma-Thematik ist aber ein eigenes Kapitel, sie leben nach ihren eigenen Regeln und sind nicht bereit, sich in die Landeskultur einzugliedern. Bevor man sich ein Bild über sie erstellen kann, ist viel Lesen und Recherche notwendig, das sprengt hier den Rahmen.

Gab es auch einen Lichtblick?
Steffi Rickenbacher: Ja, absolut, denn die Stadt, so turbulent es in ihr auch zugehen mag, ist spannend. Wir konnten uns kaum satt sehen, schlenderten durch die Strassen und fast zeitgleich stieg uns ein gut bekannter Duft in die Nase. Wir liessen uns von ihm leiten und fanden uns in einer Bäckerei wieder. Vorab muss man wissen, wir kamen ja gerade aus Montenegro, wo wir drei Wochen lang nur helles oder halbweisses weiches Gummi-Brot kaufen konnten. Jetzt in Albanien, standen wir in einer Bäckerei, die diesen Namen verdient. Baguette, Körnerbrote, gezwirbelte Stangenbrote, runde Brote mit dicker Kruste – ein Paradies! Natürlich schlugen wir zu, kauften ein Brot für das Frühstück und je zwei Brötchen direkt auf die Hand. Liebe geht durch den Magen und soeben verliebten wir uns ein bisschen in Albanien.


Was die Albaner wirklich gut können, ist backen! Der Kunde fühlt sich wie im Brotparadies.

Man hört, dass das Essen in Albanien in der Regel lecker und billig sei. Können Sie das bestätigen?
Lui Eigenmann: In Albanien wird frisch gekocht, das ist nun mal günstiger, als irgendwelche Fertigprodukte aus dem Ausland zu importieren. Und so isst man in Restaurants ausgezeichnet! Angeschlossen am Campingplatz war ein Restaurant, wo wir unser erstes Abendessen einnahmen. Eine gemeinsame Vorspeise, zwei Hauptgänge – einer davon ein traditioneller Eintopf – sowie ein Dessert. Dazu tranken wir Bier und Wein. Als der Kellner die Rechnung brachte, glaubten wir, den Umrechnungskurs wohl doch falsch anzuwenden. Aber es stimmte schon. Unser Abendessen hat uns inklusive Trinkgeld 11 Euro gekostet.

Von der Burg Rozafa oberhalb von Shkodër geniesst der Gast ein atemberaubendes Panorama. Es kann einem aber auch bewusstwerden, dass unten in der Stadt die Gegensätze nicht grösser sein könnten. Wie sind Sie damit umgegangen?
Lui Eigenmann: Ja, die Gegensätze sind gross. Hier aus der Distanz betrachtet kann man sich damit etwas besser anfreunden. Es braucht auch einfach ein paar Tage Zeit, diese Gegensätze als «normal» wahrzunehmen. Es ist oft traurig und nagt an einem. Wir sind mit unserer Herkunft einfach unglaublich verwöhnt, Leid dann so offen zu sehen und daneben diesen unschätzbaren Luxus zu erkennen, ist belastend. Vor allem mit dem Wissen, dass man dieser Ungerechtigkeit hilflos entgegensteht.


Abendessen wie die Könige - bezahlen wie die Bettler!

Ihre Reise ging weiter nach Durrës. Wie hat Ihnen die grösste Hafenstadt Albaniens gefallen?
Steffi Rickenbacher: Durrës liegt direkt am Meer und hat auch einen langen Stadt-Strand. Viele Hochhäuser – die einen fertig gebaut, die anderen bedürftig mit Planen abgedeckt – prägen das Stadtbild. Heute wird es nach den verheerenden Erdbeben anders sein, viele dieser Hochhäuser sind eingestürzt. Charme hatte die Stadt zuvor schon nicht so viel. Und doch finden sich im Zentrum ein paar Lichtblicke, wie zum Beispiel das Amphitheater, Teile der alten Stadtmauer oder die moderne Schwimmhalle.

Weshalb lohnt es sich über den Llogara-Pass zu fahren – laut Tagebuch stellte dieser Übergang den Höhepunkt Ihres Albanien-Abenteuers dar?
Steffi Rickenbacher: Wir sind Naturkinder und der Llogara-Pass zeigte uns endlich auch etwas von Albaniens Natur. Im Norden führt die Passstrasse durch die ersten Ausläufer des Gebirges. Berge umgeben uns, später fahren wir durch den Wald einige Serpentinen hoch. Das Wetter ist uns gut gesinnt, so erkennen wir von der Passhöhe aus in der leicht diesigen Fernsicht auch die griechische Insel Korfu. Von hier oben sehen wir auch die Küstenlinie, die nun im Süden von weissen Sandstränden und türkisfarbenem Wasser geprägt ist. Ja, die Überquerung des Llogara-Pass war ein wirklich tolles Erlebnis.


Llogara-Pass: Dieser Betonpilz erinnert als stummer Zeuge an die Zeiten des Krieges.

Im Tagebuch schreiben Sie auch von kleinen Betonpilzen. Wir sind gespannt auf Ihre Erläuterungen.
Lui Eigenmann: Am Llogara-Pass sind sie besonders zahlreich anzutreffen, aber auch in Küstennähe trifft man häufig Betonpilze an. Der Jugoslawien-Krieg (1991-1995, die Red.) ist noch nicht so lange her, während diesem wurden diese Pilze gebaut. Es sind Schiessstände und alte Bunkeranlagen. Mittlerweile sind sie ungenutzt. Da aber weder der Staat noch die meisten Landbesitzer das Geld für den Rückbau eben dieser Betonpilze aufbringen möchten, bleiben sie einfach sich selber überlassen und erinnern als stumme Zeugen an die Zeiten des Krieges.

Interview: Thomas Wälti /  Bilder: Steffi Rickenbacher und Lui Eigenmann

 

Interview, Teil 2


Eloquente Blogger: Steffi Rickenbacher und Lui Eigenmann hüpfen vor Lebensfreude. Im Hintergrund Camper Karl.

 

 

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