Albanien mit zwei Bloggern erleben, Teil 2

«Albanien hat unsere Weltanschauung verändert»

Anfang Mai reisen wir mit dem Edelliner nach Albanien. Steffi Rickenbacher und Lui Eigenmann waren schon dort. Mit ihrem Camper namens Karl haben sie das nahezu unbekannte Land entdeckt. Im zweiten Teil des Interviews erzählen die beiden Schweizer Blogger von der Umweltverschmutzung, von berührenden Momenten mit den Einheimischen und von einem amerikanischen Flugzeug, das einst notlanden musste.
 

Wie sieht es mit dem Umweltschutz an Albaniens Stränden aus?
Steffi Rickenbacher: Leider ist Umweltschutz noch in vielen Balkanländern eine unbekannte Tätigkeit. Speziell seit billige Plastiktüten die früheren Stoffbeutel ersetzen und PET-Flaschen die ehemaligen Glasbehälter nimmt die Umweltverschmutzung zu. Das Verständnis ist noch nicht bei allen angekommen. Ein bisschen auch verständlich, da sich manche Bevölkerungsschichten mit dem täglichen Überleben auseinandersetzen. Da bleibt wenig Platz für Umweltschutz. Um auf die Strände zurück zu kommen, ja, leider sind diese oft mit Müll verschmutzt. Allerdings nicht nur hier in Albanien, auch in Montenegro und sogar in Griechenland.

Die Gastfreundschaft der Albaner ist geradezu sprichwörtlich. Gab es einen berührenden Moment mit Einheimischen?
Lui Eigenmann: Gleich mehrere. Ein Campingplatz kurz vor dem Llogara-Pass. Eigentlich hat er noch Winterpause, aber macht doch nichts, wir können dort trotzdem stehen, bekommen Strom, die Dusche wird angemacht. Später rufen uns die Gastgeber zu sich. Es gibt Getränke und Süssigkeiten. Die Verständigung ist zwar schwierig, die Geste berührt uns aber sehr. Später auf dem Campingplatz in Ksamil werden uns täglich Kaffee, Tee und Süssigkeiten gebracht. An einem speziellen Feiertag auch ein Stück des traditionellen Kuchens. Ein Sprichwort in Albanien lautet: Das Haus gehört erst Gott, dann dem Gast und erst zum Schluss dir selber. Und das haben wir mehrmals so erleben dürfen.


Malerisches Sarande: Das Städtchen verzaubert mit Charme und Flair.

Ein prägendes Erlebnis soll auch der Ausflug in die kleine Hafenstadt Sarande gewesen sein. War es ein Eintauchen in eine andere Welt?
Steffi Rickenbacher: Da übernimm mal lieber ich wieder das Wort. Sarande ist eine mediterran angehauchte Hafenstadt, die mal wieder ohne irgendwelche Regeln zu funktionieren scheint. Für mich ein spannender Ort, wo ich stundenlang nur eine Strassenecke beobachten könnte. Lui ist mittlerweile auch deutlich gelassener und kann meinen Beobachtungstouren auch Freude abgewinnen. Wir beobachten die wandelnden Wechselstuben. Bestimmt sechs Männer stehen am Strassenrand mit dicken Geldbündeln in den Händen. Autos fahren hin und wechseln Geld. Die Frauen treffen wir rund um den Markt an. Mit Körben und Tüten beladen kommen sie aus dem Gebäude, im Innern herrscht ein dichtes Gedränge. Wir schlendern auch der Hafenpromenade entlang und essen in einem schönen Restaurant ausgezeichnete Fischspezialitäten. Sarande ist aufregend, spannend und lebendig. Mir gefallen solche Orte ausgesprochen gut.

Wie hat Ihnen der Ausflug in die Ruinenstadt Butrint – ein Unesco-Weltkulturerbe – gefallen?
Steffi Rickenbacher: Bevor Lui hier seinen Spruch von wegen «alte Steine halt» fallen lässt, erzähle lieber ich, wie ich es fand. Wir waren im März dort, der Frühling in vollem Gange, blühten überall die Blumen, die Bäume waren weisse Blütenkugeln. Die antike Ausgrabungsstätte am Butrintsee also ein einziges Blütenmeer. Hier haben in den vergangenen Jahrhunderten so viele Völker und Stämme geherrscht, dass ein bunter Mix aus Architektur zurückgeblieben ist. Die Ruinenstadt erstreckt sich auf einer grossen Fläche. Einige Gebäude sind sehr gut erhalten, von anderen stehen nur noch ein paar Steine. Ein schöner Ausflug in die Vergangenheit hier schon fast an der Grenze zu Griechenland. Und bewohnt ist die Stadt übrigens noch immer. Dutzende Schildkröten sonnten sich während unseres Besuches auf den Steinen in den Tümpeln des ehemaligen Badehauses.


Das antike Theater ist einer der Höhepunkte von Butrint.

Auf dem Weg nach Gjirokastër haben Sie einen Zwischenstopp bei der Blue-Eye-Quelle (albanisch: Syri i Kaltër) eingelegt. Haben Sie das «Blaue Auge» gesehen?
Lui Eigenmann: Die Anfahrt ist etwas speziell und führt über eine Schotterstrasse an einem Staudamm vorbei, wo in einem einsamen verlassen wirkenden Häuschen ein Mann wartet und ein paar Lek (Albaniens Währung) verlangt. Am Ende der Schotterstrasse gibt es ein paar Parkplätze und dann sind es nur noch ein paar hundert Meter zu Fuss durch den Wald zur Blue-Eye-Quelle. Schon imposant, wie sie da 6000 Liter Wasser pro Sekunde aus dem Boden spuckt. Am schönsten sieht man das «Blaue Auge» von der danebenstehenden Plattform aus, wenn man auf die Karstquelle hinunterblicken kann.


Mit Blick von oben wird Lui klar, warum die Quelle "Blaues Auge" heisst.

In Gjirokastër sind die Spuren der traurigen Geschichte Albaniens allgegenwärtig. Es gibt ein Militärmuseum, das an die Partisanenkriege gegen die italienischen und deutschen Besatzer erinnert. Und es gibt dieses kleine amerikanische Flugzeug, das ein beliebtes Fotosujet ist. Sind diese Relikte aus Kriegszeiten nicht bedrückend?
Steffi Rickenbacher: Gjirokastër ist ein bezaubernder Ort. Die Architektur ist beeindruckend und speziell die mit Schieferplatten gedeckten Häuserdächer haben dazu beigetragen, dass der komplette Ort auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes gelangte. Vom Krieg ist hier heute nicht mehr viel zu sehen, ausser man möchte sich damit beschäftigen und dazu beispielsweise das erwähnte Militärmuseum in der Festung Kalaja hoch über der Stadt besuchen. Nebst Kanonen befindet sich dort auch das amerikanische Flugzeugwrack, das Jahre nach der Notlandung des Piloten 1957 nach Gjirokastër gebracht wurde und heute ein beliebtes Fotosujet ist.


Traurige Geschichte in Gjirokastër: Das amerikanische Flugzeugwrack ist ein beliebtes Fotosujet.

Wie haben Sie sich mit den Einheimischen verständigt. Sprechen die Leute Englisch?
Lui Eigenmann: Nur wenige Leute sprechen Englisch oder Deutsch. Und da wir kein Albanisch sprechen, blieben nur noch Hände und Füsse übrig. Das hat aber gut geklappt. Die Sprache ist mit ein Grund, warum wir gerne Campingplätze anfahren. Denn Menschen, die im Tourismus tätig sind, sprechen oft Englisch und so kann man sich mit ihnen auch etwas über Land und Leute unterhalten.

Gibt es in Albanien viele Supermärkte – oder sind im Land gewisse Produkte nicht erhältlich?
Steffi Rickenbacher: Wir haben keinen einzigen Supermarkt entdeckt, der diesen Namen auch verdienen würde. In Albanien gibt es noch Metzger, Käsereien und Bäckereien. Am Strassenrand verkaufen Bauern ihr Gemüse, Honig oder auch mal Hühner, die den Tag im Käfig unter dem improvisierten Tisch nur überleben, wenn sich kein Käufer findet. Ein paar kleine Tante-Emma-Läden gibt es ausserdem, die auf wenigen Quadratmetern Lebensmittel und Alltagsgegenstände verkaufen. Avocados oder sonstige Produkte von weit her finden sich nicht. Nur Bananen. Es gibt, was aktuell gerade auf dem Feld wächst und wenn die Gurke schon etwas lahm ist oder der Apfel eine Delle hat, werden die trotzdem gekauft. Es gibt ja nicht wie bei uns Gestelle überfüllt mit Produkten, aus denen man die Rosinen herauspicken kann.

Als Sie Albanien verliessen und nach Griechenland einreisten – gab es etwas, das Sie gleich vermissten?
Lui Eigenmann: Vermisst haben wir mit Sicherheit nicht die schlechten Strassen. Auf den ersten grossen Supermarkt haben wir uns regelrecht gestürzt, nur um dann vom Sortiment erschlagen zu werden. Es gibt nicht nur Joghurts in verschiedenen Geschmacksrichtungen, sondern je Geschmacksrichtung fünf unterschiedliche. Nach der Zeit in Albanien, wo es doch auch funktioniert hat, und wo wir uns freuten, mal ein Joghurt zu ergattern, war uns dieser Überfluss zu viel. Noch heute greifen wir manchmal, wenn wir das Gemüse am gleichen Tag verwenden möchten, zu dem «unschönen», das sonst wohl im Gestell liegen bleiben würde. Ein bisschen mehr von diesem einfachen Leben würde uns richtig guttun.

Wie hat die Reise nach Albanien Ihr Leben verändert?
Steffi Rickenbacher: Albanien hat unsere Weltanschauung definitiv verändert. Wir schenken Vorurteilen nun viel weniger Glauben und haben gelernt, dass Menschen, die im Vergleich zu uns fast nichts zum Leben haben, viel gastfreundlicher und oftmals auch fröhlicher wirken, als wir. Sie nehmen sich Zeit für ein Gespräch. Die Toleranz ist viel grösser. Trotz allem ist uns sehr bewusst, dass Albanien auch jede Menge Baustellen hat. Korruption, Ungleichheit und mafiaähnliche Zustände –, doch diese Probleme betreffen Reisende nicht. Und ein Teil dieser Missstände kann mit Sicherheit auch nur behoben werden, wenn beispielsweise durch den Tourismus neue Einkommenszweige entstehen. Wir wünschen dem Land auf jeden Fall einen sanften und bewussten Anstieg des Tourismus, es hat ihn verdient.

Interview: Thomas Wälti / Bilder: Steffi Rickenbacher und Lui Eigenmann

 

Interview, Teil 1


Unterhaltsame Autoren: Steffi Rickenbacher und Lui Eigenmann.

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